„Alter Deutscher Grenzkrug“
Von Hannes Hansen
Rosenkranz. „Farvel“, sagt Silvia Brodersen in singendem Dänisch, „og mange tak“. Silvia Brodersen ist Deutsche. In ihren „Alten Deutschen Grenzkrug“ aber kommen, außerhalb der Sommersaison mit ihren Urlaubern, vorwiegend Dänen, um die weitum gerühmte Putenkeule oder Schollenfilets zu essen. Und um ein Bier zu zischen, ein Gläschen Aquavit oder Gamel Dansk zu kippen und Zigaretten zu kaufen. Denn die Preise in Deutschland sind um einiges niedriger als im Königreich, unter anderem wegen der Mehrwertsteuer, die nördlich der Grenze satte 25 Prozent beträgt. „Beim Bier sparen die Dänen rund zwei Euro pro 0,3 Liter, bei einer Packung Zigaretten auch“, sagt Silvia Brodersen.
Von der Kreisstadt Tondern im westlichen Nordschleswig oder (Sønderjylland, wie die Region in Dänemark heißt) ist es nur ein Katzensprung zum Alten Deutschen Grenzkrug im Dorf Rosenkranz in der nordwestlichsten Ecke des bundesrepublikanischen Festlands. „Alt“ ist der reetgedeckte Dorfkrug mit Schankraum und großem Saal gewiß. Schon im achtzehnten Jahrhundert wird hier eine Gastwirtschaft erwähnt. Aber ein „Grenzkrug“ ist sie erst seit 1920, fünf Jahre bevor Silvia Brodersens Großeltern ihn übernahmen. Damals wurde nach einer Volksabstimmung die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland neu gezogen und von der Königsau weiter nach Süden an die Wiedau verlegt.
Hier in Rosenkranz ist das eine skurrile Grenze. Grundstück und Haus von Silvia Brodersen ragen nämlich ein Stück weit nach Dänemark hinein. Oder sollte man sagen, dass sich auf der gegenüber liegenden Straßenseite ein Stück Dänemark nach Deutschland hineinschiebt? Wie dem auch sei, die rechte Seite der Straße, die am Grenzkrug vorbei und über die Wiedau zum wenige hundert Meter entfernten Dorf Rudbøl führt, ist deutsch, die linke Seite dänisch. „Damals, bei der Grenzziehung“, erzählt Silvia Brodersen, „lebte uns gegenüber ein dänischer Bauer, der auf gar keinen Fall deutscher Staatsbürger werden wollte. Und die Japaner von der neutralen Grenzkommission haben ihm den Gefallen getan und Haus und Hof Dänemark zugeschlagen.“
Das hatte bis vor kurzem ebenso komische wie manchmal ärgerliche Folgen. Bis zur Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Deutschland im März 2001 befanden sich mitten auf der geteilten Straße, dort wo heute eine Blumeninsel ist, ein Schlagbaum und inzwischen abgebaute Kontrollstellen des BGS bzw. der dänischen Reichspolizei. Die waren aber erst ab acht Uhr morgens und bis 22 Uhr abends besetzt. „Wenn der Bierfahrer morgens zu früh kam“, erinnert sich Silvia Brodersen, „konnte er nicht auf den Hof fahren, der Schlagbaum war ja zu.“ Und wenn ihre kleine Tochter die Tante in Rudbøl besuchte, mußte sie bis zehn Uhr zurück sein. Oder bei der Tante übernachten. Da kam es dann manchmal vor, dass sie spät abends Sehnsucht nach der Mutter bekam und jammernd „Mama, Mama“ rief. Die, nur wenige Meter von ihrem Kind entfernt, mußte sich dann ins Auto setzen, 20 Kilometer bis zum nächsten, auch nachts offenen Grenzübergang bei Süderlügum fahren, wo sie Tante und Tochter traf. Dann ging es für alle auf gleichem Weg zurück. Ein Umweg von jeweils 40 Kilometern für zwei Familien.
Silvia Brodersen kann über solche Geschichten nur noch lachen. So wie darüber, dass ihre Großmutter gelegentlich auf eigenwillige Weise die staatliche Bürokratie überlistete: „Abends standen manchmal Dänen auf ihrer Seite der Straße und wollten noch einen Schnaps trinken. In die Gastwirtschaft konnten sie ja nicht kommen, und meine Oma durfte auch nicht einfach mit Flasche und Gläsern über die Straße gehen. Da hat sie dann die vollen Gläser auf eine Schaufel gestellt und über die Grenzlinie geschoben. Die Dänen haben das Geld auf die Schaufel gelegt, und alle waren zufrieden. Hat nie jemand gemeckert.“
Die alte Atmosphäre lebt weiter im stimmungsvollen Schankraum des Alten Deutschen Grenzkrugs, auch wenn von solchen Restriktionen kaum noch etwas zu spüren ist. Nur ganz spezielle Gäste in den sechs Ferienwohnungen im ersten Stock der Gastwirtschaft und im Anbau haben noch einige Sonderregelungen zu beachten. Angler im Rutebüller See, zu dem sich die Wiedau am Nordende von Silvia Brodersens Grundstück erweitert und durch den die von Bojen gekennzeichnete Grenze läuft, dürfen auf dänischer Seite mit dem Motorboot fahren und lebende Köderfische benutzen. Auf deutscher nicht. „Das soll man erstmal einem Süddeutschen klar machen“, sagt die resolute Wirtin. „Komisch, nicht?“ Ja, komisch.
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