Vor der Premiere: Malte Kreutzfeldt setzt sich mit Handkes „Immer noch Sturm“ auseinander

Von Christoph Munk

Kiel. Ein altes Familienfoto, beim Sammeln von Anschauungsmaterial gefunden, gab einen entscheidenden Anstoß. An ihm entzündete sich für Regisseur Malte Kreutzfeldt die Überzeugung, dass es bei der Arbeit an Peter Handkes „Immer noch Sturm“ zentral darum geht, die Geschichten und Geheimnisse der abgebildeten Menschen zu ergründen. Das Ergebnis dieses Prozesses zeigt seine Inszenierung für das Schauspiel Kiel – Premiere am Freitag und Sonnabend.

„Zuerst begegnete mir der Text als Roman einer Zeitreise“, berichte Malte Kreutzfeldt über seine Anfangserfahrung mit Handkes Buch, das 2010 als Prosatext erschien und ein Jahr später bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde. „Doch unter der ersten Schicht spürte ich schnell die große Affinität des Autors zum Theater und seine Bühnenerfahrung“, so beschreibt der Regisseur sein weiteres Vordringen in die Tiefen der Erzählung – gut ein halbes Jahr als Arbeit im Kopf. Als nächstes entstand so etwas wie eine eigene Theaterfassung: rund 300 Seiten Dialoge und Beschreibungen. Am Ende waren sie auf etwa 30 Seiten reduziert.

„Das erzählende Ich ist ein Suchender, ein Reisender in der Erinnerung“, so charakterisiert Kreutzfeldt die Hauptfigur. Und Dramaturg Jens Paulsen ergänzt: „Wir folgen einem unzuverlässigen Erzähler, der selbst immer wieder die Kontrolle über die Personen und Ereignisse in seinen Berichten“ verliert.“ Man müsse sich vorstellen, fordert der Regisseur, dass man das Geschehen nicht real, sondern im Kopf des Autors sieht: „Dort entstehen keine scharfen Bilder, keine präzisen Abbilder der Realität“ Zur Erinnerung gehörten neben Träumen auch immer Trugschluss und Täuschung.

Dennoch verwandelt sich die Reise in die Vergangenheit des Erzählers Handke in greifbare Handlungen: Da ist eine Familie mit Großeltern, einer Mutter, Tanten, Onkel, Schwestern, Brüdern. Und alle haben ihre Geschichten, die im Süden Kärntens um die historische Realität der slowenischen Minderheit kreisen, um Not und Unterdrückung, um Widerstand und die Sehnsucht nach Frieden. Doch Regisseur Malte Kreutzfeldt will die Festlegung auf ein Drama oder gar eine Tragödie vermeiden.

Dem folgt sein Wunsch, den Bühnenraum möglichst frei zu halten: Handke beschreibt in seinem Text einen Apfelbaum, eine Wiese, ein Bank, lässt aber die Standorte offen, oder wechselt sie beliebig. Bühnenbildner Damian Hitz spricht darum schlicht von einer „Spielfläche“, einer nach hinten steil ansteigenden Schräge. Und Katharina Beth will mit ihren Kostümen zwar den Zeitströmungen folgen und – mit Schürzen und Uniformen etwa – konkrete Figuren formen, aber im Erinnern auch allgemeingültig bleiben.

Kreutzfeldt erkennt nämlich im Schicksal der slowenischen Minderheit nicht das zentrale Thema in Handkes Stück. Für ihn geht es vor allem um die Geheimnisse einer Familie, um Heimat und deren Verlust und im Versuch des Erinnerns um grundsätzliche Fragen: Wer bin ich, wo komme ich her, wo gehe ich hin? Und er verspricht, kein reines Sprechstück zu liefern, sondern reichlich Handlung zu bieten. „Wir wollen unsere Zuschauer berühren und Elemente schaffen, die die Lust am Theater steigern“. Und das mit einem Text, in dem der Regisseur schon heute die Qualitäten eines echten Klassikers findet: „Phantastik, szenische Spannungsbögen, sprachliche Präzision, Randschärfe der Konflikte…“