Ingo Putz gelingt eine erinnerungsselige Neuinszenierung der „Rocky Horror Show“ in Kiel

Von Christoph Munk

Kiel. Leute! Wie die Zeit vergeht! Seit über 40 Jahre kursiert „The Rocky Horror Show“ von Richard O’Brian auf dem Markt der Musicals und beweist doch ihren unverderblichen Warenwert. Das nutzt Regisseur Ingo Putz am Kieler Schauspielhaus, denn er packt den bewährten Inhalt in die alte Tüte: Seine deutlich als Remake der Kinoversion servierte Neuinszenierung weckt so viel selige Erinnerung an damals, dass sich bei Premiere von Song zu Song anschwellender Jubelrausch verbreitete.

Interaktives Theater war angedacht und das Auditorium mit Material und Gebrauchsanweisung versehen. Der engagierte Teil der Zuschauer also spielte gehorsam mit: Reiskaskaden zur Hochzeitszeremonie, Regengüsse aus Wasserpistolen, Klopapier von der Rolle, Zwischenrufe wie bestellt. Das alles rieselte als Zugabe zum zuverlässig frenetischen Szenenbeifall sparsam, aber voll korrekt aus dem Saal.

Kein Wunder. Schließlich arbeitet auf der Bühne Regisseur Ingo Putz am Wiedererkennungswert. Seine Inszenierung setzt sich mit den Mitteln des Kieler Theaters leicht erkennbar auf die Spuren von Jim Sharmans Verfilmung von 1975. Also hantiert Putz gelenkig mit den Versatzstücken von damals. Szenengestaltung, Figurenzeichung, Nummernfolge – alles vertraut. Da stimmt selbst die sorgfältige Nachgestaltung von Details wie die Verführungsszenen als Videoeinspielung oder gewissenhafte Zitaten wie das bekannte Puritanergemälde „American Gothic“. Und die von O’Brian in seinem Musical parodistisch aufgespießten Handlungsmuster und Darstellungsklischees der Horror-und Science-Fiction-Filme kassiert die Regie gleich mit. Das passt.

Und die Ausstatterin Mirjam Benkner passt ihr Szenenbild kongenial den begrenzten Möglichkeiten der Schauspielbühne. Sie schafft räumliche Tiefen auf zwei Stockwerken, findet sogar Platz für Frank’N’Furters legendären Lift und bietet dazu noch weite Auslaufzonen für die zahlreichen von Vivienne Hötger gewitzt choreografierten Tänze und Song-Arrangements. Denen bereitet Ture Rückwardts Rock-Quintett „Ture and the Sonic Transducers“ den überzeugenden Soundtrack: klangvoll, knackig und kantig. So soll es sein: step by step und Nummer für Nummer.

Fachlich zeigt sich das Kieler Ensemble in allen Disziplinen bestens aufgestellt: Gesang, Tanz und Spiel. Im Verlauf der Story vom unbedarften Brautpärchen, das nächtlich in die Fänge des dominanten Transvestiten Frank’N’Furter gerät und neben panischem Schrecken seine sexuelles Erlösung erlebt, gewinnen auf der guten und braven Seite mit Maxine Kazis und Christian Kämpfer als Jane und Brad zwei liebenswerte Naive alle Sympathien. Ihnen gegenüber faszinieren Yvonne Ruprecht (Magenta)und Jeniffer Böhm (Columbia) als schrille und schräge Ladys im transylvanischen Kosmos. Dort kreisen zusätzlich sechs Background-Girls, Absolventinnen von Hamburger Musicalschulen, fabelhaft singend und tanzend. Gemessenen Abstand dazu halten Werner Klockows sonor-souveräner Erzähler und Oliver E. Schönfeld als schnell geopferter Eddie und energischer Dr. Scott.

Die Epoche der simpel effektvollen B-Movies im Horror-Fach und der handgefertigten Illusionsmaschinerien in den zweitklassigen Sci-Fi-Filmen ist Geschichte, längst überholt von neuer Ästhetik voller raffinierterer Animationstechniken und rasanteren Bildmontagen. Das war anders, als sich Richard O’Brian darauf einen frech parodierenden Spaß gönnte und ihn mit den doppelgeschlechtlich schillernden Attitüden des Glam Rock kombinierte. Die Zeit ging darüber hinweg. Und daran erinnert die Regie, wenn sie die im Film jugendlich besetzten Hauptfiguren in Kiel gestanden Männern überlässt. So darf Zacharias Preen als alter, überdrüssiger Riff Raff durch die Handlung schlurfen und Marko Gebbert im Körper des gerade neu erschaffenen Retortenwesens Rocky statt frischer Muskelmassen seinen bewundernswerten Fitnesszustand vorführen.

Geradezu als Schelmenstück aber wirkt die Gestaltung des lasziven Dämonen Frank’N’Furter durch Imanuel Humm. Denn der spielt auf wundersam zwiespältige Weise die Mühen des Transvestiten-Alltags mit: Das ständige Posen in Spitzenkorsage, mit Netzstümpfen und auf High Heels, die ewige Dominanz, die nie versiegende Lüsternheit – das zehrt sichtbar an den Kräften. Also ist Humms Frank in die Jahre gekommen, ein angefressener Held der Dunkelheit. Und sein Schwanengesang „I’m going home“ trieft dann rührend vor Todessehnsucht. So soll es sein.

Besser also geht es nicht. Denn schließlich macht auch der Generalintendant alles richtig, wenn er die angejahrte, aber in der Erinnerung als Kult glorifizierte „Rocky Horror Show“ ins Repertoire nimmt und sich damit den absoluten Kassenerfolg sichert. Und zuletzt bewiesen alle Fans, die sich jetzt schon ein Ticket gesichert haben, ein glückliches Händchen: Die bis April 2014 terminierten 21 Vorstellungen sind nämlich bis auf einzelne Restkarten ausverkauft. Basta. Alles spricht dafür: Auch diese Kieler Produktion der „Rocky Horror Show“ dürfte in die Jahre kommen.