Die Konzertreihe Neue Musik Eckernförde widmete sich erneut „abweichender Weltwahrnehmung“
Von Jörg Meyer
Eckernförde. Es wirkt wie ein Bekenntnis zur „Abweichenden Weltwahrnehmung“, so der Titel der diesjährigen Konzertreihe Neue Musik Eckernförde in der Nicolai-Kirche, wenn der Hamburger Komponist Manfred Stahnke sein beeindruckendes Orgelwerk „Last Supper“ wie folgt charakterisiert: „Eine Musik vor dem Beginn der Zahlen und Körper – oder nach allen Zahlen und Körpern“.
Zu seinem Sommerkonzert trat das Ensemble reflexion K mit kleiner Besetzung an (Katja Kanowski, Orgel, Beatrix Wagner, Flöte, und Gerald Eckert, Cello). Aufwand hat man dennoch nicht gescheut, aktuelle und „alte“ Neue Musik als Zeit, Raum und Klang ebenso definierende wie auch solche „abweichend“ auflösende zu präsentieren.

Spürten neuen und alten Klängen „abweichender Weltwahrnehmung“ nach:
(v.l.) Katja Kanowski, Beatrix Wagner und Gerald Eckert. Foto: Meyer
In Marina Khorkovas „a_priori“ für Flöte und Cello, gewidmet Wagner und Eckert, sind die Saiten des Cellos eigens umgestimmt, um ganz erstaunliche Klangeffekte zu produzieren, etwa wenn sie durch eine Wäscheklammer abgeklemmt werden. Nicht minder „abweichend“ von üblicher Klang- und Zeitwahrnehmung sind die drei Flöten von Bass bis Piccolo, die mal schrill exaltieren, mal stoisch die Luft im „Plopp“ des tiefen Einatmens anhalten. Das Werk trägt seinen passenden Titel, indem es uns auffordert, inne zu halten, unserem unerhörten Gehör zu vertrauen wie es Makiko Nishikazes „a solitary flower comes out“ verheißt und so aus der Zeit und vielleicht auch aus dem Körper des Zuhörers fällt.
Um dahin zurückzukehren, denn etwas Symbolisches wie das Brot wird in Stahnkes „Last Supper“ (Abendmahl) zum – ins Leiblich-Geistige verwandelt – Erfahrbahren. Jedenfalls wenn man die Orgel so traktiert, wie es Stahnke vorschreibt: Nicht etwa auf den Tasten wird gespielt, sondern mit der Registratur, so dass seltsam schwebende Klänge zwischen dem „Noch nicht“ und „Doch schon“ der atemlosen oder stürmisch belüfteten Pfeifen erklingt. Ein Röcheln wie zum Tode, zugleich aber auch der erste wilde Schrei, wenn solcher embryonischer Klang seinem Uterus entsteigt.
Sowas mag schon Johann Sebastian Bach vorgeahnt haben, als er sein „Präludium und Fuge h-moll“ schrieb. Wegen der sich aus den zahlreichen in einander verschlungenen Kontrapunkte entwickelnden Chromatik wird das zu damaligen Zeiten nicht verbreiteter wohltemperierter Stimmung noch „abweichender“ geklungen haben als heute – hier passt es wie dafür komponiert in den Kanon der neuesten Musik. Aus der Zeit fallend und die Wahrnehmung herausfordernd sind auch Maria Boulgakovas Flöten-, Cello- und Orgelklänge in ihrem Werk, das lakonisch „Trio in D“ heißt, über gewohnte Tonalität aber weit hinausweist.
Nicht anders Gerald Eckerts schon öfter gehörtes „Nen VII“ für Flöte, Cello und Tonband, treffend benannt nach dem zeitlosen Moment in der fernöstlichen Philosophie, wo alles in die Weite des Klangs driftet, aber in ihm wie in einem (leisen) Urknall zusammenschnurrt.
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