Das Kieler Musiktheater bereitet die Open Air-Aufführung von Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“ vor

Von Christoph Munk

Kiel. Unüberhörbar schweifen die Töne über den Rathausplatz: wuchtige Orchesterklänge, Ensembles und Arien, füllige Chöre – „Va, pensiero, sull’ ali dorate“ vor allem. Da weiß jeder Kenner: Verdis „Nabucco“ wird bald über die eigens errichtete Bühne gehen. Vor der Premiere am kommenden Sonnabend, beschreibt Christoph Munk das Wichtigste, was man über das Werk und seine Wiedergabe wissen muss.

„Dies ist die Oper, mit der in Wahrheit meine künstlerische Laufbahn begann.“ So erinnerte sich Giuseppe Verdi an den überraschenden Erfolg des 1842 uraufgeführten „Nabucco“. Sie beendete eine Schaffenskrise des damals 29-jährigen Komponisten, die durch einen Schicksalsschlag ausgelöst wurde: Innerhalb weniger Monate verlor er durch Krankheit seine beiden kleinen Kinder und seine Ehefrau. Dazu kam der Misserfolg seiner Oper „Il giorno di regno“. Nur widerwillig nahm er darum einen neuen Auftrag der Mailänder Scala an, ließ sich aber durch die Lektüre des Librettos von Temistocle Solera spontan begeistern.

Die Handlung ist verwickelt und greift, auf die Bibel Bezug nehmend, die Geschichte des babylonischen Königs Nebukadnezar II. (605 – 562 v. Chr.) auf. Das Heer der Babylonier, angeführt durch Nabucco (Nebukadnezar), bestürmt die Stadt Jerusalem. Das hebräische Volk unter der Führung des Hohepriesters Zaccaria fleht um Rettung und hat Nabuccos Tochter Fenena in seine Gewalt gebracht. Diese ist in heimlicher Liebe mit Ismaele, dem Neffen des Königs von Jerusalem verbunden. Fenenas Schwester Abigaille entdeckt jedoch die Liebenden, beide werden des Verrates an ihrem Vaterland beschuldigt. Im weiteren Verlauf der vier Akte sind die Hebräer in Babylon gefangen. Dort ereignet sich ein erbitterter Machtkampf zwischen Abigaille und Nabucco, der, als er sich selbst als Gott ausruft, vom Wahnsinn befallen wird. Am Ende verhindert der bekehrte Nabucco die Hinrichtung Fenenas und Ismaeles, gewährt den Hebräern ihre Freiheit, Abigaille stirbt vom Blitz getroffen, die Liebenden sind vereint.

Wie eine Hauptschlagader oder ein Herzstück bestimmt der berühmte, in Italien wie eine heimliche Nationalhymne empfundene Chor der gefangenen Hebräer die Musik und den Geist der Oper: „Va, pensiero, sull’ ali dorata – Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln“. So wird der Chor in vielen statisch wirkenden Szenen zum eigentlichen Protagonisten. Doch Verdi findet in seiner Partitur zu einer neuen Form der Musikdramatik, die die herkömmliche Folge von einzelnen Nummern – Ensembles und Arien – verbindet. Nicht nur die ästhetische Schönheit der Begleitung steht im Vordergrund, bestimmend ist vielmehr eine reiche Instrumentierung, die auch harsche und grelle Klänge nicht scheut.

Das Team der Kieler Aufführung

Die ersten beiden Produktionen der Kieler Sommeroper – „Tosca“ und „Il Trovatore“ – wurden von den beiden Chefs des Hauses künstlerisch persönlich verantwortet: Generalintendant Daniel Karasek inszenierte, Generalmusikdirektor Georg Fritzsch dirigierte. In diesem Jahr bilden erstmals Gäste das Leitungsteam: der Regisseur Olaf Strieb, der Dirigent Francesco Ciluffo und der Ausstatter Heiko Mönnich.

Olaf Strieb (Foto: Theater Kiel)

Olaf Strieb (Foto: Theater Kiel)

Olaf Strieb stellte schon mit seinen beiden Kieler Inszenierungen der Musicals „Crazy for you“ und „Hello Dolly“ seine Fähigkeit unter Beweis, den großen, komplexen Apparat des Musiktheaters effektiv zu bewegen. In über 70 Inszenierungen erwies er sich bisher als Grenzgänger zwischen den Genres – Kindertheater, Klassiker, Ur- und Erstaufführungen – und wagt sich diesmal in die Welt der Oper. Nach seinem Studium begann er als Regieassistent, inszenierte in der freien Szene, an größeren Häusern (etwa Bielefeld, Mannheim, Darmstadt, Wuppertal) gehörte zum Leitungsteam der Domfestspiele Gandersheim und ist seit 2009 Oberspielleiter der Landesbühne Niedersachen Nord in Wilhelmshaven; seit zwei Jahren amtiert er dort als Intendant.

Francesco Cillufffo (Foto: Theater Kiel)

Francesco Cillufffo
(Foto: Theater Kiel)

Der italienische Dirigent Francesco Cilluffo gastiert als musikalischer Leiter des Kieler „Nabucco“ zum ersten Mal in Deutschland. Nach seinem Studium in seiner Heimatstadt Turin und in London, arbeitete er als Korrepetitor und musikalischer Assistent bekannter Dirigenten, ehe er im vergangenen Jahr Dirigate an mehreren großen Häusern in Italien übernahm. Künftige Engagements führen ihn zum Wexford Festival und nach Liège. Als Komponist zeigte er mit preisgekrönten Werken eine Vorliebe zur menschlichen Stimme und zum Theater.

Heiko Mönnich (Foto: Theater Kiel)

Heiko Mönnich
(Foto: Theater Kiel)

Kostüm- und Bühnenbildner Heiko Mönnich bewährte sich in Kiel bereits mit den Kostümen für „Hoffmans Erzählungen“ und den Ausstattungen von „La Traviata“ und den Balletten „Schwanensee“ und „Romeo und Julia“. Mönnich begann seine Laufbahn als Tänzer, kehrte immer wieder zum Tanztheater zurück, wirkte als freier Bühnen- und Kostümbildner in mehr als 100 Produktionen unter anderem in Augsburg, Bonn, München, Kassel und Paris und bringt Erfahrungen mit Freilicht-Aufführungen in Braunschweig, Eutin und Ettlingen mit.

Internationale Gäste als Solisten

Für die Solo-Partien des Kieler „Nabucco“ wurden auch in diesem Jahr namhafte und vielversprechende Gäste engagiert, größten Teils in doppelter Besetzung:

Dario Solari (Foto: Theater Kiel)

Dario Solari (Foto: Theater Kiel)

Nabucco, die Titelrolle, wird in der Premiere voraussichtlich von Dario Solari gestaltet, den Kiels Operngänger schon als Macbeth kennengelernt haben. Der in Uruguay geborene Bariton wurde von Katia Ricciarelli entdeckt und sang inzwischen zahleiche Partien des italienischen Fachs in zahlreichen Häusern in ganz Europa, unter anderem an der Welsh National Opera, in Florenz, Rom, Toulouse, Antwerpen, Savonlinna, in Chile und in Israel.
Im Wechsel mit Solari ist der Armenier Gevorg Hakobyan als Nabucco zu hören. Er sang vor allem an der Oper in Erewan, gastierte aber auch häufig in London, in Cagliari, St. Petersburg, Valencia, Kasan und Sofia. Als Gérard in „Andrea Chenier“ während der Kieler Operngala gab er 2014 sein Deutschalnd-Debüt.

Mattia Denti (Foto: Theater Kiel)

Mattia Denti
(Foto: Theater Kiel)

Sergey Kovnir (Foto: Theater Kiel)

Sergey Kovnir
(Foto: Theater Kiel)

Zaccaria, der Oberpriester der Hebräer, wird in der Premiere von Sergey Kovnir, der sich in Kiel bereits als Fürst Gremin in „Eugen Onegin“ und als Banco in „Macbeth“ bewährt hat. Seit 2003 gehört er zur Ukrainischen Nationaloper in Kiew, gastierte aber vielen europäischen Opernhaüsern und bei den Salzburger Festspielen.
Mit ihm alterniert der italienische Bass Mattia Denti, der sein internationalen Debüt 2004 beim Wexford Festival gab und in zahlreichen Partien vor allem in Italien engagiert war.

Alessandra Gioa (Foto: Theater Kiel)

Alessandra Gioa
(Foto: Theater Kiel)

Rossella Ragatzu (Foto: Theater Kiel)

Rossella Ragatzu
(Foto: Theater Kiel)

Abigaille, die machtlüsterne Rivalin des Titelhelden, singen in Kiel zwei italienische Sopranistinnen: Alessandra Gioa studierte bei zahlreichen bekannten Sängerinnen wie Renata Scotto oder Mirella Freni, gewann etliche Gesangswettbewerbe und wurde vor allem in ihrer Heimat durch Opern- und Konzertauftritte bekannt. Rossella Ragatzu trat in den wichtigsten Häusern Italiens, aber auch in Deutschland (Dresden, Düsseldorf, Leipzig, Köln, Freiburg) auf. In Kiel gastierte sie in der vergangenen Spielzeit als Grafin in Mozarts „Figaro“.

Cristina Melis (Foto: Theater Kiel)

Cristina Melis (Foto: Theater Kiel)

Als Fenena, ist mit Cristina Melis eine italienische Mezzosopranistin zu erleben, die im ersten Sommeropern-Jahr als Azucena auftrat und seither als Suziki („Madame Butterfly“), Olga („Eugen Onegin“) und Adriano („Rienzi“) dem Kieler Publikum vetraut blieb. Sie war und ist in den großen Rollen ihres Fachs vor allem in Italien zu Gast unter anderem in der Arena von Verona.

Yonki Baeck (Foto: Theater Kiel)

Yonki Baeck
(Foto: Theater Kiel)

Ismaele, die Rolle des Königsneffens, übernimmt in allen Aufführungen der Koreaner Yoonki Baek, der als festes Kieler Ensemblemitglied seit 2009 in den maßgeblichen Partien als lyrischer Tenor zu erleben ist.

Die Premiere am Sonnabend, 22. August, ist ausverkauft, für die weiteren Aufführungen bis 30. August (Beginn jeweils 20 Uhr) gibt es Restkarten.
Die Premiere wird als Videoprojektion am Bootshafen, auf dem Vinetaplatz, auf dem Blücherplatz und am Heidenberger Teich in Mettenhof zu sehen sein.

Infos und (Rest-) Karten: www.theater-kiel.de.