Sommeroper auf dem Kieler Rathausplatz: Jubel für Verdis „Nabucco“
Von Christoph Munk
Kiel. Ein einsichtsvoller Herrscher, der am Ende aller Machtkämpfe religiösen Frieden unter einem gemeinsamen Gott stiftet; eine in einprägsamen Bildern erzählte, dramatische Geschichte; wunderbar gestimmte Sängersolisten; ein gefühlvoller, gut geführter Chor, ein mit vielen Klangvaleurs aufspielendes Orchester – alles fügte sich am Premierenabend von Verdis „Nabucco“ für die Kieler Sommeroper zum gefeierten Erfolg. Da hätte es des finalen Feuerwerks gar nicht bedurft, denn schon lange strahlte am Himmel über dem Rathausplatz das Sternbild des Großen Wagens.
Die ersten wuchtigen Akkordschläge der Ouvertüre: Panisch flieht eine Frau über die weite Szenerie, andere folgen; Menschen finden sich zusammen, lassen sich wieder vertreiben, sammeln sich erneut, gemeinsam geduckt vor dem Schrecken der Ereignisse, schließlich dem Schicksal ergeben, gefasst für alles, was da folgt. So entsteht ohne Worte unter Verdis wechselvollen Klängen ein ergreifendes Bewegungstheater, das Angst, Flucht, Zuversicht, Erschrecken, Verunsicherung illustriert – eben alle Gefühlslagen, denen ein Volk unter Bedrängnis ausgesetzt ist. Das schafft Bilder, die eigentlich von einer vorchristlichen Epoche erzählen wollen und von der Welt, in der das Reich Babylons mit dem der Juden stritt, und die doch zu den Kriegsberichten unserer Tage passen.
Deutlichere Anspielungen auf die Aktualität braucht die Inszenierung von Olaf Strieb nicht. Denn Heiko Mönnichs Bühnenraum spielt zwar mit einem dominierenden, für Babylon stehenden Blau und der Farbe und der Form des jüdischen Gesetzespergaments, bleibt jedoch ein eher abstrakter, variabel genutzter Ort für die wechselnden Schauplätze. Dort verwirklicht der Gastregisseur eine groß angelegte Opernchoreografie. Die Wirkung des frühen Verdi-Werks hängt – da sind sich die Experten seit jeher einig – vor allem von einem exzellenten Chor ab. Für dessen musikalischen Qualitäten sorgt die detailgenaue Choreinstudierung von Lam Tran Dinh, szenisch aber hat ihn Olaf Strieb vollkommen im Griff und schafft so immer wieder markante Tableaus, auch wenn er die Menge mit fuchtelnden Fäusten und kämpferischen Posen manchmal leicht plakativ agieren lässt.
Ebenso sicher führt Strieb die Solisten. Gewiss, er erlaubt ihnen gelegentlich die konventionelle Operngestik, stellt sie aber in den Ensembles geschickt zusammen, beispielhaft schon im ersten Teil, wenn Abigaille, Fenena, Ismaele gemeinsam singen, aber gegensätzliche Empfindungen ausdrücken. Der dagegen etwas umständlich arrangierte, statuarisch anmutende Kampf um Krone und Macht zwischen Abigaille und Nabucco mag dem Bedürfnis geschuldet sein, vor der hoch aufragenden Tribüne statt detaillierter Psychologie weiträumig Affekte zu demonstrieren.
Äußerst feinnervig, wenn auch von manchen Plätzen aus tontechnisch etwas überpräsent, agiert das Philharmonischen Orchester. Der junge italienische Dirigent Francesco Cilluffo animiert es zu energischen Tempi, lässt ihm aber auch den Atem für sorgfältig ausgespielte Details der Partitur, etwa die schön ausmusizierten Soli der Celli, Harfe oder Holzbläser und bietet so die kongeniale Begleitung für das homogene durchweg gut disponierte Solistenensemble, in das sich Lesia Mackowycz (Anna), Fred Hoffmann (Abdallo) und vor allem Christoph Woo als kraftvoller Oberpriester harmonisch einfügen.
Beherrschend und von der Tontechnik perfekt unterstützt präsentieren sich die Sängerdarsteller der Hauptpartien: Mattia Denti als Zaccaria überzeugt mit nicht nur gewaltigem, sondern äußerst subtil gestaltendem Bassvolumen. Dario Solari in der Titelpartie setzt ihm einen ebenso kernigen wie kultivierten Bariton entgegen, gestaltet neben dämonischen Aspekten der Partitur vor allem auch die verhaltenen, warmen Klangfarben der Rolle. Wahre Primadonna-Qualitäten für die beiden Gesichter der Abigaille offenbart Alessandra Gioia. Ihr stets souverän geführter Sopran zeigt ebenso die Fähigkeit zur Attacke wie für das gefühlvolle Cantabile etwa in der Doppelarie zu Beginn des zweiten Teils oder der anrührenden Todesszene im Finale. Mit zuverlässigem Tenorglanz stattet Yoonki Baek den Ismaele aus, während Cristina Melis der Nabucco-Tochter Fenena eine warme, gefühlvolle Mezzostimme verleiht.

Wahre Primadonna-Qualitäten für die beiden Gesichter der Abigaille: Alessandra Gioia (Foto: Olaf Struck)
„Va, pensiero“ – natürlich begleitet den auf goldenen Flügeln schwebenden Chorgesang der größte Beifall. Doch das Publikum entdeckt dank einer klar geordneten, bilderstarken Inszenierung und ihrer grandios und elegant präzis ausmusizierten Begleitung durch Chor und Orchester die volle, im Frühwerk anklingende Meisterschaft des Musikdramatikers Giuseppe Verdi. Und dann noch ein gestirnter Himmel – vollkommenes Premierenglück.
Anders gesagt: So kann man, so muss man Sommeroper realisieren, wenn man neue Zuschauerkreise auch ans feste Haus und das ganze Repertoire gewinnen will.
Weitere Aufführungen vom 25. bis 30. August, jeweils 20 Uhr. Infos und Karten: www.theater-kiel.de.
23. August 2015 um 15:47
Erstmal ganz herzlichen Glückwunsch dir und Hannes Hansen zu diesem Blog! Ich werde bestimmt jeden Tag mal reinschauen.
Und nun zu deiner Kritik von Nabucco: Wunderbar! So klar! So auf den Punkt gebracht! Ein Genuss zu lesen. Danke!
Ich freue mich auf die neue Opernspielzeit und hoffe, dann immer von dir über die Aufführung etwas lesen zu dürfen.