Torsten Sträter parlierte sich im ausverkauften Metro vom Tausendsten ins Hundertste

Von Jörg Meyer

Kiel. „Ich bin heute ein bisschen verhuscht“, gesteht Torsten Sträter. Erst wenige Minuten vor seinem Auftritt im ausverkauften Metro ist er dort bahn-verspätet angekommen, hat „noch schnell eine geraucht“ und steht jetzt „etwas verschwitzt“ auf der Bühne, um eigentlich aus seinem neuesten Buch „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“ zu lesen.

Doch das tut er erst kurz vor der Pause, denn es gibt genug Umstände, zunächst ausführlichst abzuschweifen. Zum Beispiel das Publikum erst mal richtig ankommen und abzuhusten lassen. Apropos Husten, da habe man ja zuweilen das Gefühl, dass damit geradezu „Nachrichten gemorst“ würden, „eine Art Rentner-WhatsApp“. Der erste Brüller, der kaum abebben will. Aber er schweife ab – doch Moment: „Ich bin ja auf dem Weg hierher an eurem Schloss vorbeigefahren“, wo er am 16. Oktober 2016, also in einem Jahr, vor wohl noch größerem Haus lesen werde. Darüber nachzudenken, warum dieser „Kasten“, der so aussehe, als habe man ihn „aus DDR-Restbeständen“ erworben, „Schloss“ heiße, könne er sich nicht verkneifen. Auch damit trifft er beim Kieler Publikum ins Schwarze. „Schluss jetzt!“, befiehlt sich Sträter.

Auch das gehört bei Torsten Sträter zum „Service“ der Abschweifung – Posen eigens für den Pressefotografen (Foto: Björn Schaller)

Auch das gehört bei Torsten Sträter zum „Service“ der Abschweifung – Posen eigens für den Pressefotografen (Foto: Björn Schaller)

Doch Halt! Mal eben noch posen eigens für den Pressefotografen, damit der ein etwas vorteilhafteres Bild von ihm schießt als der neulich im Auswärtigen Amt, wo er zusammen mit den Kollegen Dieter Nuhr, Ingo Appelt und Andreas Rebers vom dort gereichten teuren Wein so angetrunken war, dass es ein Tanz „auf sehr dünnem Eis“ wurde.

Apropos Eis – und damit seien wir ja nun, huch, schon so spät? – bei der ersten vorzulesenenden Geschichte, dem „Diät-Tagebuch“. Genauer: erstmal beim Eisschrank der Minibar in einem Züricher Hotel, wo ein sündhaft teurer Schokoriegel so verführerisch lockte, dass … Eigentlich sei das jedoch gar keine Geschichte, eher „ein Fragment“, unterbricht sich Sträter nicht, sondern spinnt sie sogleich so poetisch wortgewitzt aus, dass sie geradezu zu einem nibelungischen Siegfriedskampf mit dem Schokoriegel gerät.

Auch nach der Pause parliert sich Sträter, der nicht als politischer Kabarettist gelten will, sondern als „Penis-Witz-Erzähler“, munter unselbstbeherrscht und feinsinnig mehrdeutig durch gegenwärtige Umstände. Keine Angst vor Flüchtlingen solle man haben, auch nicht vor der Kanzlerin – „die tut nichts“. Auch Rassismus habe in Deutschland keinen Platz, denn Untersuchungen hätten ergeben, dass „braune Porsche genauso schnell sind wie weiße“. So folgt selbst bei einem ernsten Thema Pointe auf Pointe. Dass hinter denen dennoch ein ernster Erzähler lauert, einer, der nicht nur mit Witzen berühren kann, zeigt Sträters letzte, „nur umständehalber vorgelesene“ Geschichte: Die von der Geburt seines Sohnes, der Geburt einer Geschichte aus der Abschweifung nicht ganz unähnlich.

Nächster Kieler Auftritt von Torsten Sträter: 16.10.2016, Schloss – der Vorverkauf läuft bereits.