Ein Blick auf Pläne und Projekte – auf die Versprechungen des Kieler Theaters zur neuen Saison
Von Christoph Munk
Kiel. Die Gipfel der Sommeroper sind Vergangenheit – mehr Oper war nie in der Stadt. Aber jetzt beginnt der Alltag des Theaterbetriebs, von den Fans ebenso neugierig erwartet. Was bringt die Saison? Das Jahresprogramm gibt Auskunft. Es ist voller Pläne und Projekte, voller Versprechungen. Christoph Munk hat im Spielzeitheft geblättert und ahnt dabei, was kommen wird.
Keine Farbe auf dem theater-kiel-Spielzeit-Heft 2015/2016. Pure Blässe. Nur hinten bunt: ein Tanzpaar in klassischer Pose – die Reklame, die man seit gefühlt einem Vierteljahrhundert kennt. Vorne aber im hellen Beinahenichts kaum zu sehen der Fünfzack, das Theater-Logo. Was steckt dahinter? Das Weiß der Unschuld, Ahnungslosigkeit, Versteckspiel?
Drinnen erst klärt Generalintendant Daniel Karasek auf. Er verspricht einen Ariadne-Faden, vielmehr zwei. Eine Helix, ein gewundenes Gespinst aus zwei Strängen also. Unumwunden und präzis beschreibt er sie: Zwei Mythen: Glaubensherrschaft und Glaubensregel sowie Weltentwurf und dessen Sicherung. Wer’s noch genauer, allgemein zutreffender haben will: Im Spielplan werden „Verbindungslinien zwischen individuellem Leben und der gesellschaftlichen Ordnung“ gezeichnet. Klar doch: In diesem Netz darf sich jeder gefangen fühlen. Denkt man. Doch im Theater kann man das anders. Denn Karasek weiß: „Die Schöpfer dieser Verbindunglinie sind unsere Regieteams“. Und die haben – mal kurz zusammengefasst – ein inneres Anliegen, eine Vielfalt von Perspektiven und erfüllen die Erwartung, uns Einblicke in den Wandel zu gestatten. Anders gesagt: Es geht von hinten durch die Brust ins Auge.
Konventionelle Stücke im Musiktheater
Doch zunächst zählen in einem Spielplan die Titel. Und da sieht das Versprechen des Musiktheaters nach purer Konvention aus. Brauchen wir einen neuen „Ring des Nibelungen“? Die Erinnerungen an die ziemlich unvergesslichen Harms/Damovsky-Produktionen sind immerhin noch 15 Jahre frisch. Aber ja! GMD Georg Fritzsch möchte gewiss seinen Wagner-Zyklus vollenden, und allein die Tetralogie fehlt ihm noch, alles andere hat er schon drauf. Und mit Karasek möchte der Chef dann doch selber als ein Regisseur ran, der so gern Geschichten auf dem Theater erzählt.
Brauchen wir nach der zugespitzten Version von Georg Köhl (2006) und der breit ausgespielten Open Air-Fassung von Karasek (2012) schon wieder eine neue „Tosca“ und auch noch eine neue „Carmen“? Und auf der Musical-Position ausgerechnet „My Fair Lady“, dazu auf der Barock-Linie Christoph Willibald Glucks „Orpheus und Eurydike“? Alles schöne Stücke – und so gute Bekannte. Da kommt es tatsächlich darauf an, ob Karaseks Versprechen eingelöst wird und die Regieteams in ihrem inneren Anliegen neue Verbindungslinien zwischen der Fantasiewelt des Theaters und unserem Leben schaffen. Das Versprewchen sollte auch Yaroslav Ivanenko einlösen, wenn er mit seinem Ballett auf dem bewährten Gefilde zwischen Tradition („Dornröschen“) und Moderne („Blame it on the Moondog“) tanzen lässt.
Risiko und Spannung im Schauspiel
Mehr Spannung verspricht auf den ersten Blick das Repertoire des Schauspiels: Schillers „Jungfrau von Orleans“ dürfte unter der Regie von Malte Kreutzfeld (zuletzt: Handkes „Immer noch Sturm“) mehr als ein Reclam-Heft-Klassiker werden. Wenn sich Dariusch Yazdkhasti Brechts „Baal“ vornimmt, treffen zwei wütend Kreative zusammen, und Ulrike Maack kann auf gute Erfahrungen mit den Stücken von Simon Stephens bauen, wenn sie an dessen „Blindlings“ arbeitet, dessen deutschsprachige Erstaufführung sich das Kieler Schauspiel gesichert hat, die als „unbequem, frech, hyperreal und in die Knochen gehend“ angekündigt wird. Dazwischen bringt Daniel Karasek – gewissermaßen als bös-turbulentes Weihnachtsmärchen für Erwachsene – Alan Ayckbourns „Schöne Bescherungen“ auf die Bühne. Interessant könnte werden, was die junge Regisseurin Katrin Linder mit Wedekinds Jugend-Klassiker „Frühlings Erwachen“ im Sinn hat und was Johannes von Matuschka (in Kiel 2014: „Das Interview“) mit Strindbergs messerscharfem Nachtstück „Fräulein Julie“ anstellt. Allergrößte Aufmerksamkeit aber verdient im April die Uraufführung des israelisch-deutschen Projekts „Die zehn Gebote“, dessen erster Teil von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel geschrieben und von Annette Pullen inszeniert wird, während der zweite Teil von Shlomo Moskovitz stammt und von Dedi Baron auf die Bühne gebracht wird.
Mit großer Literatur – Arthur Schnitzlers Monolog „Fräulein Else“ – beginnt das Programm im Studio. Hennings Mankells „Butterfly Blues“ folgt, ein Stück zum Thema Migration, das der Autor 2003 in Graz in Co-Produktion mit seinem Teatro Avenida Maputo herausgebracht hat. Roland Schimmelpfennigs „Wintersonnenwende“, für das Stockholmer Dramaten geschrieben, wird nach der deutschen Erstaufführung am Deutschen Theater Berlin durch das Kieler Schauspiel im Studio nachgespielt.
Mit großem Fleiß, bezaubernder Vielfalt und altersgemäßer Bandbreite geht Nobert Aust im Theater im Werftpark seine Spielzeit an – die letzte nach 30 Jahren in Kiel, wo er als junger Mann anfing, gereift ist und jetzt ein gut aufgestelltes Haus übergibt.
Im Moment nicht mehr als Pläne und Projekte
Pläne sind das momentan noch, Projekte, Konzepte und ernsthafte Ambitionen. Mehr noch nicht, auch wenn die Proben schon fortgeschritten sind. Warten wir die Premieren ab, denn auch hier gilt die Weisheit des legendären Stürmers, Trainers und Philosophen Adi Preißler: „Entscheidend is’ auf’m Platz.“
Infos: www.theater-kiel.de
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