Am Schleswig-Holsteinischen Landestheater hat eine Kleinbürgertragödie nach Rainer Werner Fassbinders Film „Lola“ Premiere

Von Hannes Hansen

Rendsburg. Wir schreiben die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In einer bundesrepublikanischen Kleinstadt kungelt die Verwaltung mit den örtlichen Firmen. Abgewickelt werden die Geschäfte zum gegenseitigen Vorteil aller Beteiligten vorwiegend im Bordell, in dem die Heimatvertriebene Lola der Star ist. Ein Neubaugebiet soll für die Flüchtlinge aus dem Osten, denen man über ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kriegs noch immer mit Misstrauen begegnet, errichtet werden. Bauunternehmer Schuckert, der örtliche Platzhirsch, reißt sich den Auftrag unter den Nagel. Der neue Baudezernent Von Bohm dagegen will Ordnung schaffen und den Sumpf der Korruption trockenlegen. Doch ach, Lola macht sich ihn im Auftrag Schuckerts gefügig. Zum Dank heiratet er die Edelprotestierte, die nun endlich da angekommen ist, wo sie immer hin wollte, ganz oben. Beide sind jetzt Teil der korrupten guten Gesellschaft.

So weit die Story des weitgehend Rainer Werner Fassbinders Film „Lola“ folgenden gleichnamigen Bühnenstücks von Peter Märtesheimer und Pia Fröhlich, das am Samstag in Rendsburg Premiere hatte. Waren schon Klischees und holzschnittartige Personenzeichnung Merkmale der filmische Satire aus dem Jahre 1981, so setzt Angelica Zaceks Inszenierung für das Schleswig-Holsteinische Landestheater auf den Schelm anderthalbe und lässt ihr Personal konsequent zwischen Groteske, Farce und Kolportage agieren.

Tief greift die Regisseurin in die Klischeekiste und holt dort heraus, was wir alle zu kennen meinen. So ist Stefan Hufschmidts Bauunternehmer Schuckert vorwiegend ein grölender Kapitalist, der sich die Welt, seine Welt, kauft und gefügig macht, wandelt sich René Rollins Baudezernent Von Bohm vom etwas tappsigen Ehrenmann nach erster Enttäuschung sehr schnell zum einvernehmlichen Mitglied des Klüngels. Katrin Schlomms auf cooles Äußeres im Stil der zwanziger Jahre getrimmte Lola und die übrigen Damen des Bordells sind Nutten wie aus einem „Tatort“ und das ganz in Rot getauchte Etablissement ein Kleinbürgertraum. Dort übt sich Lola im Poledancing, dort lässt sich Johannes Lachenmeiers Bürgermeister am Halsband durch den Salon führen, wird Christian Simons Stadtangestellter Esslin unvermittelt vom ehrpusseligen Moralisten zum selig in die sexuell aufgeladene korrupte Atmosphäre eintauchenden Transvestiten mit Strapsen und High Heels. Eine zuckersüße Liebesszene, in der Von Bohm und Lola den Kanon „Abendstille überall“ intonieren, tut ein Übriges, das Stück in der sarkastisch überzeichneten Farce anzusiedeln. Dietrich Bartsch am Piano und der Schlagzeuger und Bassist Jonas vom Orde schließlich liefern ebenso wie zeittypische Schlagerkonserven die passende, freilich reichlich aufdringlich und überdeutlich akzentuierende Begleitmusik.

Das turbulente, über weite Strecken grotesk überdrehte und mitunter slapstick-artige Geschehen gewinnt auf Martin Fischers Bühne gehörig an Rasanz. Wie ein Karussell dreht sich das dreiteilige Bühnenbild in immer gleicher Routine, ein gelungenes Bild für den rasenden Stillstand der Adenauer-Jahre. So sind Bordell, Büro und ein unspezifischer Ort letztlich nur unterschiedlich ausgestaltete Metaphern für den immer gleichen Geist, der  das Stück durchzieht, die Gier nach Geld und sexueller Ausschweifung. Auf diese Weise verzerrt das Zusammenspiel von Bühnenbild und Inszenierung das grelle Geschehen zur Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, von der sich mühelos der Bogen zum Heute schlagen lässt. Da verzeiht man dann gerne, dass für charakterliche Feinzeichnung der Figuren wenig Platz bleibt. Satire und Kolportage haben halt ihren Preis. Für Angelika Zaceks gelungene Regie zahlt man ihn gerne.

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