Jochen Missfeldt las im Literaturhaus aus seiner 2013 erschienenen Theodor-Storm-Biographie

Von Hannes Hansen

Theodor_Storm_1886Kiel. Als Theodor Storm am Weihnachtstag des Jahres 1836 in Altona der neun Jahre jüngeren Bertha von Buchan begegnet, erzählt Jochen Missfeldt, verliebt sich der neunzehnjährige angehende Student in das Kind. Er beschließt, wie er in einem Brief an einen Freund schreibt, „dieses Mädchen geistig an mich zu fesseln“. Angesichts der mitunter recht schwül wirkenden Liebesgedichte, die er in den nächsten Jahren schreibt und an das Mädchen schickt, und im Hinblick darauf, dass er 1842 der mittlerweile 16-Jährigen einen – von ihr abgelehnten – Heiratsantrag macht, darf man an seinen rein geistigen Interessen durchaus zweifeln.

Daraus aber nun gleich zu schließen, in Theodor Storm müsse man in Zukunft einen praktizierenden Pädophilen sehen, sei, schränkte Jochen Missfeldt auf seiner Lesung am Dienstagabend im Kieler Literaturhaus ein, unangemessen. Zum einen habe Storm durchaus Liebesverhältnisse zu anderen Frauen gehabt, zum anderen sei er dem angebeteten Kind allein in Briefen und Gedichten nahe getreten. Manchmal freilich zu nahe, doch alles noch im Bereich des gerade noch Erlaubten.

Jochen Missfeldt. Foto: HaH

Jochen Missfeldt. Foto: HaH

Dass der in späteren Jahren gerade in Fragen von Moral und Lebensführung so strenge Husumer Patriarch mit seiner Liebe zu einem Kind unter Dichtern und Schriftstellern nicht alleine steht, machte Jochen Missfeldt mit einer Reihe von Verweisen auf Kollegen Storms deutlich. So erzählte er, wie Thomas Mann, der 1930 in einem Essay über Storms Liebeslyrik schreibt, sie sei „ein Griff an die Kehle“, in seiner Novelle „Tod in Venedig“ der Faszination nachspürt, die der junge Wladyslaw Moes aus vornehmer polnischer Familie auf ihn ausübte. Das ausgerechnet er urteilt „Korrekt ist eigentlich nichts von Storm“, mutet im Licht dieser Faszination allerdings seltsam an, als ein Treppenwitz der Literaturgeschichte.

Als weitere Beispiele erotischer Verirrungen von Künstlern nannte Missfeldt Novalis und seine Verlobte Sophie von Kühn, die bereits im Alter von fünfzehn Jahren starb, und Lewis Carrols „Alice“. Man könnte noch Vladimir Nabokows Roman „Lolita“ anführen oder Dantes Beatrice in seiner „Vita Nuova“ zitieren.

Unter das Motto „Bürger auf Abwegen“ stellen die Thomas-Mann-Gesellschaft und die Theodor-Storm-Gesellschaft eine Reihe von Veranstaltungen und eine Sonderausstellung, die ab dem 10.9.2015 im Lübecker Buddenbrookhaus der Frage nachgehen, welche Gemeinsamkeiten hinsichtlich erotischer Irrungen und Wirrungen in Leben und Werk des Lübecker Patriziersohns und des Husumer Patriarchen bestehen.

Verlagsinfo zu Jochen Missfeldts Theodor-Storm-Biographie