Das Schleswig-Holsteinische Landestheater fühlt der Schuldenkrise, ihren Ursachen und Auswirkungen auf den Zahn
Von Hannes Hansen
Schleswig. Vom Schnürboden herab hängen gewaltige Papierrollen, in einer Ecke wartet eine große Windmaschine auf ihren Einsatz. Vor dieser Kulisse feiert eine Gruppe von Menschen eine feuchtfröhliche Gartenparty. Eine junge Frau (Lisa Karlström) tritt an ein Mikrofon, lächelt schüchtern und trällert „The Girl from Ipanema“. Zwischen einem Globalisierungskritiker (Lorenz Baumgarten) und einer Rechtsanwältin (Meike Schmidt), kommt es zum Streitgespräch über die Frage, ob Länder der Dritten Welt ihre horrenden Schulden bei den Großbanken der Industrieländer bezahlen sollen. „Nein“, sagt der eine, auf keinen Fall, „ja“ die andere, wo kommen wir denn hin, wenn Schulden einfach nicht beglichen werden. Ein betrunkener Banker, dem das Hemd aus der Hose hängt (Deniz Ekinci), prahlt mit den Kniffs, die er benutzt hat, um potentielle Kunden hereinzulegen, und macht sich an die Rechtsanwältin heran. Reiner Schlegelberger komplettiert die Runde der Partygäste und alle fünf treten an Mikrofone und zählen auf, mit welch miesen Tricks Banken und Regierungen der Industrieländer im Verein mit dem Internationalen Währungsfond die Welt in die Schuldenkrise getrieben haben.
Mit „Schulden“, der Bühnenfassung des 600-Seiten-Buches „Die ersten 5000 Jahre“ des amerikanischen Wirtschaftshistorikers David Graeber, zeigt das Schleswig-Holsteinische Landestheater ein Stück, das mit ebenso schmerzhaften wie gerne geleugneten Wahrheiten über die Ursachen und Folgen der weltweiten Schuldenkrise aufwartet. Über weite Strecken trägt das Stück freilich die Züge eines finanzwissenschaftlichen Seminars und hat zunächst wenig dramatische Kraft. Dafür aber geht es bei der Premiere von „Schulden“ im Schleswiger Slesvighus auf Fabian Wendlings Bühne hoch her. Regisseurin Kathrin Mayr und Dramaturg André Becker statten die Bühnenshow mit einer Folge von assoziativ und nur sehr lose mit dem Thema „Macht, Moral, Wahn und Witz“ verknüpften Episoden aus. Da deutet Deniz Ekinci, angetan mit einer Stiermaske, einen Geschlechtsakt mit Meike Schmidt an, die eine Bärenmaske trägt, und wir begreifen schon, die Symboltiere der Börse für Hausse und Baisse treiben es munter miteinander. Aber was sagt uns die Metapher? Vermutlich nichts, sie macht sich nur gut, und weil wir schon einmal bei der Verquickung von Geld und Sex sind, darf Lorenz Baumgarten sich eine Eselsmaske überstülpen, als sei er gerade aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ hereingeschneit. Aber was das bedeuten soll und warum er splitterfasernackt auf der Bühne herumstolzieren und mit einem Gewehr Jagd auf wen auch immer machen darf, will sich nicht unmittelbar erschließen

Szene aus „Schulden“:
(v.l.) Lisa Karlström, Reiner Schleberger, Deniz Ekinci (Foto: Landestheater SH)
Dann wieder zitiert die Inszenierung Goethe und lässt seinen Faust gemeinsam mit Mephisto zu Gründungsvätern des Kapitalismus werden. Dazu werfen sich die Akteure in Rokoko-Kostüme und lassen Mephisto über ein aktienähnliches Papier sagen: „Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt, ist so bequem; man weiß doch, was man hat.“ Endlich erfährt man auch, was es mit den vom Schnürboden herabhängenden Papierrollen auf sich hat. Sie dienen als Rechnungen, Aktien, Schuldverschreibungen, und sonst noch allerhand aus der Finanzwelt und werden bei Bedarf unter gehöriger Lärmentwicklung zerschreddert. Schließlich bläst sie die Windmaschine von der Bühne in den Zuschauerraum und wieder begreifen wir, das hat was zu bedeuten. Aber was?
Das Problem der Inszenierung von „Schulden“ ist nicht so sehr, dass sie mit einem Pastiche von spektakulären, aber meist beziehungslos nebeneinander stehenden Aktionen nicht nur metaphorisch gewaltig Wind macht. Ihr Mangel ist vielmehr, dass die Bilder, die sie verwendet, weitgehend sinnfrei erscheinen. Das aber schien bei der Premiere kaum jemand zu stören. Der Beifall war jedenfalls mehr als herzlich.
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