Nina Attal begeisterte mit ihrer Lesart des Blues in der ausverkauften Werkhalle

Von Jörg Meyer

Neumünster. Nicht weit scheint der Weg vom Mississippi an die Seine zu sein, wenn man die Pariser Rhythm’n’Blues-Lady Nina Attal an der Schwale hört. Ihr Kunstflecken-Konzert in der ausverkauften Werkhalle eröffnen die 23 Jahre junge Sängerin und ihre sechsköpfige Band mit „Baby (Right Now)“ dennoch mehr soul-poppig und vor allem funky, als man es vom Blues erwarten würde.

Freilich lässt das Blues-Feeling nicht lange auf sich warten. „Ain’t Gone“ – wie der Opener und die meisten Songs des Abends vom vor einem Jahr erschienenen Album „Wha“ – hat diese mehr in den Bauch als die Beine gehende Entspanntheit. Bis zu Soul-Balladen wie „Good Guy“ ist es dann auch nur ein kleiner Schritt – und set-dramaturgisch höchst effektvoll geplant, kann Attal darin doch zeigen, wie facettenreich ihre Stimme ist: Nicht schwarz, wie es sich für den Blues eigentlich gehört, sondern farbenfroh schillernd. Ist das weite Feld zwischen Blues, Pop, Soul und Funk also schon mal als Attals ureigener und kaum mit Vorbildern verwechselbarer Claim abgesteckt, kann es nun kräftig umgepflügt werden: mit dem bläserfunkelnden und auf den Gitarren satt geslappten „Stop The Race“ genauso wie mit dem nun wirklich „Blue Mood“ des Downtempos von „People“.

Bei beiden und nicht zuletzt bei der Losgeh- und Mitsing-Nummer „Put Them In Hell“ taut das Publikum sichtlich auf, kommen nicht nur die zunehmenden Beifall spendenden Hände kräftig in Bewegung. So könnte der Abend im Wechsel zwischen rockigem Rhythm und beseeltem Blues einfach weitergehen, hätte Nina Attal nicht noch zwei wahre Geniestreiche im Gepäck. Für den ersten verlassen ihre Jungs die Bühne, der Scheinwerfer-Spot fokussiert auf Nina und ihre Gitarre zu einem berührenden Solo. Schon beim ersten Hören habe sie sich in diesen Song verliebt, gesteht sie: Anthony Hamiltons „Freedom“ aus dem Soundtrack zu Quentin Tarantinos „Django Unchained“. Und diese Liebe spürt man unmittelbar mit, wenn aus der rockig groovenden Intensität ihrer übrigen Songs hier eine zerbrechliche Intimität wird. In der Werkhalle, durch die eben noch mancher Wirbelwind fegte (und noch rasen wird) und wo man jetzt die berühmte Stecknadel fallen hören könnte, weht nun ein samtener Seelenhauch direkt ins Herz der Zuhörer.

Doch der Wirbelwind hat sich noch nicht ausgetobt. Bei „Everything You Say“ greift Nina Attal ganz anders in die Saiten, nämlich geradezu hendrix’sch. Von der Bühne, die eben noch ihr ganz allein und ihrer Seele gehörte, springt sie ins Publikum und rockt sich mit einem fulminanten Gitarrensolo durch die Reihen. Letztere geraten in tänzerische Wallung. Denn auch das ist der Blues à la Attal – Unbändigkeit und groove-dampfender Rausch.