Daniel Karasek gelingt in Kiel eine schlichte Version von Wagners „Das Rheingold“
Von Christoph Munk
Kiel. Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ ist ein Großprojekt: ein vielfach gebrochenes Heldenepos, das aus dem Reich der Götter über Menschen und Sagengestalten bis in die Tiefen von Zwergengestalten und Naturgeistern reicht. In seiner Gesamtheit umgreift es einen Weltentwurf und dessen Scheitern. Doch zum Beginn dieses musiktheatralischen Generalunternehmens und zum Start in die Kieler Opernsaison gelingt Generalintendant Daniel Karasek das Kunststück, den Vorabend des Bühnenfestspiels, „Das Rheingold“, im Lichte der Naivität auf eine kleine Form zu bringen. Und Generalmusikdirektor Georg Fritzsch erarbeitet mit dem Philharmonischen Orchester die klangliche Grundlage dazu.

Im Streit um Walhall: Wotan (Thomas Hall, re.), Fricka (Claudia Melis) und Fasolt (Timo Riihonen, li.), einer der Riesen. (Foto: Olaf Struck)
Die ersten Bilder des szenischen Geschehens kitzeln beinahe ein Déjà-Vu-Erlebnis heraus: die Rheintöchter auf den bewegten Stangen der Kulissenzüge. Begann nicht der letzte Kieler „Ring“ von 1997 ebenso? Nicht ganz. Denn damals schwebten Woglinde, Wellgunde und Floßhilde auf kleinen Sesselchen vom Schnürboden, und an den Zugstangen imaginierten leuchtende Neonröhren die Wellenbewegungen des Wassers. Und damals, bei Kirsten Harms und Bernd Damovsky, hatte das Methode. Denn sie erkoren die Bühne zum Schauplatz des Geschehens, und dort sollte mit den offen vorgeführten Mitteln des Theaterspielens der Mythos erschaffen werden.
In Daniel Karaseks Inszenierung reduziert sich das auf recht plausible Einfälle. Es passt natürlich, die Nibelungen-Szene auf der hochgefahrenen Unterbühne zu spielen. Es leuchtet ein, dass die Riesen als übergroße, von mehreren Akteuren geführte Körpergestelle aus der Werkstatt des Puppenspielers Marc Schnittger erscheinen. Es belustigt zumindest, wenn zu Donners großer Geste „Schwüles Gedünst …“ der Sänger des Froh hinter die Bühne wetzt, um mit der Nebelmaschine zu fuchteln. Eindrucksvolle, die Vorstellung prägende szenische Gemälde entstehen so nicht. Und Konrad Kästners imposante Videoprojektionen von Vorgängen aus dem Kosmos und Mikrokosmos stellen sich wohl doch eher Wagners Willen und Traum entgegen, Natur und Universum musikalisch auszumalen.
Die Absichten des Komponisten werden dagegen von Georg Fritzsch und dem Philharmonischen Orchester bestens vertreten. Ohne auf die machtvollen Klangräusche zu sinnen, musiziert er mit allen Instrumentengruppen flexibel und fleißig, moduliert die Fülle der (Leit-) Motive und Farben plastisch heraus, hält das musikalische Geschehen im mühelosen Fluss und begleitet einfühlsam die Sänger, weil er ihnen alle dynamischen Überforderungen erspart.
Fritzsch kann sich weitgehend auf ein gut eingestimmtes Ensemble aus dem Haus verlassen. Gastsänger und Deutschland-Debütant Thomas Hall widmet sich als Wotan mit sicherem Bassbariton mehr der Durchsetzungskraft als den Gefühlsschwankungen des Göttervaters. Cristina Melis, aus dem italienischen Fach ins Ensemble gewachsen, gibt eine eher grimmige Fricka. Jörg Sabrowski singt sich an die Spitze der in Kiel angestammten Sänger, weil er Wotans Gegenspieler Alberich nicht nur ebenbürtig auf die Bühne stellt, sondern ihm in nuancenreicher Gestaltung dramatisches Profil und Tragik verleiht. Ebenso zeigt sich Michael Müller bereit, in der heiklen, ans Heldenfach grenzenden Tenorpartie des Loge ans Limit zu gehen – ohne zu scheitern. Der knappe, entscheidende Einsatz von Urmutter Erda verdankt Rena Kleifeld wohltönendes Volumen. Zur musikalischen Einheit tragen beachtlich bewältigte Sängerleistungen bei: Angieszka Hauser (Freia), Tomohiro Takada (Donner), Yoonki Baek (Froh), Fred Hoffmann (Mime), Timi Riihonen und Marek Wojciechowski (Riesen) sowie Hye-Jung Lee, Heike Wittlieb und Tatia Jibladze (Rheintöchter).
Mit seinen szenischen Anordnungen überfordert Daniel Karasek seine Akteure keinesfalls. Er verlangt von ihnen lediglich über weite Strecken eine simple Übung im Fach Darstellendes Spiel: klare, plausible Beziehungen, deutliche, altbekannte Gestik, Singen in gewohnten Positionen. Und Norbert Ziermanns nur ungefähr andeutendes, vor allem Projektionsflächen freiräumendes Bühnenbild trägt zum Eindruck schierer Opernkonvention ebenso bei wie Claudia Spielmanns gewiss sorgfältig gewählten, fachlich geschneiderten, aber doch wie zufällig gefunden wirkenden Kostüme. All das scheint einem bewährten Gedanken zu folgen: Wir erzählen mal ganz einfach, bewahren unser kindliches Gemüt und eine naive Sicht auf die Geschichte. Um tiefer gehende Deutungen mag sich, bei Bedarf, der Zuschauer selbst bemühen. Und gerade das scheint dem Kieler Publikum – zumindest einem Teil davon – besonders zu gefallen. So weit man den Bravos im Premierenbeifall trauen darf.
Anders gesagt: Minimaler Erkenntnisgewinn. „Das Rheingold“ mag noch nach dem Prinzip des reinen, wenig reflektierten Erzählens funktionieren. „Walküre“ (im April geplant) fordert ein gedankentiefes Konzept und eine interpretierende Haltung.
Weitere Termine und Infos: www.theater-kiel.de.
1. Oktober 2015 um 10:50
Bin kein extasischer Wagnerfan, darum danke, für Euren Blog, der ist sehr interessant, und das was ihr dazu schreibt und kommentiert, nun muss ich es mir anschauen! Weiter so!