Die Kunsthalle Kiel zeigt unter dem Titel „Hokuspokus“ ab dem 3.10. Installationen von Via Lewandowsky

Von Hannes Hansen

Kiel. Gleich im ersten der drei ebenerdigen Ausstellungsräume der Kieler Kunsthalle begrüßt den Besucher der in aggressivem Rosa schimmernde Riesenschriftzug SIEG und man fragt sich, wer hier eigentlich gesiegt hat oder siegen wird; die Kunst, der Kapitalismus, Bayern München? Man rätselt und gibt sich, wenn man sich denn darauf einlässt, Assoziationen, Gedankenspielen, Überlegungen hin. Natürlich hilft es dem Verstehen auf die Sprünge, wenn man weiß, dass das Wort der klägliche und absurde Rest einer Inschrift auf einem Ostberliner Hochhaus ist, die einst DER SOZIALISMUS SIEGT lautete. Die alte Schulweisheit Sic transit gloria mundi, dass der Ruhm der Welt vergänglich sei, drängt sich einem dabei geradezu auf. Nur: Man muss den Zusammenhang kennen. Ich kenne ihn, weil der Mann, der den Schriftzug installiert hat, der Berliner Künstler Via Lewandowsky, ihn mir erklärt hat. Für alle anderen ist er Teil einer ganz privaten Ikonographie.

(Foto: Helmut Kunde)

(Foto: Helmut Kunde)

Auf diese Ikonographie, auf ihre vertrackte Rätselhaftigkeit, also muss man sich einlassen, wenn man Via Lewandowskys Großinstallation Hokuspokus“ in der Kunsthalle zu Kiel besucht, die am morgigen Freitag eröffnet wird. Etwa vierzig Arbeiten in insgesamt fünf Räumen und auf der Galerie wollen entschlüsselt, begriffen, verstanden, erfühlt sein. Sie erzählen, oft akustisch mit Alltagsgeräuschen, Stöhnen oder Wortfetzen unterlegte Geschichten, geheimnisvolle Geschichten, die zwischen religiösen Bezügen und Jux, ja bildhaften Kalauern oszillieren. Und so spielt der Titel der Ausstellung mit der Doppelbedeutung von Hokupokus als volksetymologische Verballhornung des Hoc est corpus meum (Dies ist mein Leib) der katholischen Liturgie und dem englischen hoax, das so viel wie Ulk, Spaß, Trick bedeutet. Mit dem Doppelsinn des Wortes Fall arbeitet im gleichen Raum die Installation Alles, was der Fall ist, eine umgefallene Straßenlaterne, die in einem Bauzelt verschwindet und dort ihr Licht ausgießt, als würde ein Eimer Milch verschüttet. Auf spielerische, fast beiläufige Weise antwortet sie dem martialischen SIEG, nimmt ihm die Wucht und banalisiert ihn.

Foto Helmut Kunde

(Foto: Helmut Kunde)

Im nächsten Raum dann steht Oh Eiche, ein auf federnden Konsolen kippelnder Hochsitz, der das Konzept einer deutschen Eiche markigen Angedenkens wenn nicht geradezu verhohnepiepelt, so doch misstrauisch befragt. Ein Niederschlag der Erfahrungen mit Ideologien aller Art, die der aus Dresden stammende Künstler zu DDR-Zeiten gemacht hat? Eine Auseinandersetzung mit dem dumpfen Provinzialismus, die er seiner Heimat, die er fluchtartig verließ, attestiert. Ganz anders im gleichen Raum ein Esstisch mit vier Stühlen, Gläsern und Essgeschirr, alles ver- und angebrannt, nutzlos geworden. Der Titel Tischgebet mit dem Untertitel Verbrenne, was du angebetet hast, und bete an, was du verbrannt hast verweist in seiner geradezu alttestamentarischen Wucht auf mittelalterliche Bekehrungsversuche an germanischen Barbaren durch Missionsbischöfe wie Bonifatius, den „Apostel der Deutschen“, oder den iroschottischen Mönch Kilian. Missionare, die die Heiden aufforderten, ihre Götter- und Götzenbilder zu vernichten und sich dem Christengott zu unterwerfen, statt seine Vertreter zu töten und ihre Schriften zu vernichten. Ist es überinterpretiert, zu vermuten, mit diesem zunächst ganz verschlossenen, verrätselten und wie ein erratischer Block in unsere Zeit weitgehender Gottesferne ragenden Tischgebet werde zugleich eine Kulturleistung ersten Ranges wie die Einführung des Weinbaus durch Kilian und damit der römisch-katholischen Zivilisation geehrt wie eine radikale Abkehr von der modernen Welt religiöser Bedürfnislosigkeit formuliert?

Foto Helmut Kunde

(Foto: Helmut Kunde)

Mit Fragen wie dieser geht es Schlag auf Schlag weiter in der Kunsthalle. Was bedeutet der Titel Thuja (Zypresse, Lebensbaum) für einen Turm aus teilweise zerschlagenen Kunsttstoff-Paletten? Welche Botschaft vermittelt der flackernde Neonschriftzug „Auge um Auge Zahn um Zahn“, bei dem immer wieder ganze Textstücke verlöschen, während zugleich eine Stimme die unverständlichen Reste – etwa „Auumahn oder „zz“ – stöhnt und zischt oder mit Bruchstücken aus dem alttestamentarischen Buch Prediger („Es ist alles eitel“) des Alten Testaments auf Hebräisch und Deutsch die Botschaft untermalt.

Fazit: Via Lewandowskys Installation Hokuspokus“ geht mit großer Intensität Grundfragen der menschlichen Existenz nach. Für den schnellen „Kunstgenuss“ ist das nichts. Wer sich aber fragend auf sie einlässt, wird reich belohnt.

Kunsthalle zu Kiel: Via Lewandowsky – Hokuspokus. Eröffnung: Fr., 2. Oktober, 19 Uhr. Dauer: 3.10.2015 – 31.1.2016. Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr. Mi 10 – 20 Uhr. Katalog 24 Euro.