Dariusch Yazdkhasti inszeniert Brechts „Baal“ am Kieler Schauspielhaus
Von Hannes Hansen
Kiel. Einen drehbaren Kasten, der in raschem Wechsel abwechselnd als Kneipe, als Musikbühne, Absteige oder schäbige Schlafstätte dient, stellt Simeon Meier auf die Bühne des Kieler Schauspielhauses. Mit der Bühne auf der Bühne und Umbauten auf offener Szene folgt Dariusch Yazdkhastis Inszenierung von Brechts Jugendwerk „Baal“ der erst Jahre später formulierten Brechtschen Konzeption des epischen Theaters, das den Zuschauer aus seiner Konsumentenhaltung reißen und zum Nachdenken über die gesellschaftlichen Bedingungen der Handlungen seiner Akteure anregen will. Doch passt dieses Konzept nur sehr bedingt, denn an der Egomanie des jungen Dichters Baal sind keinerlei gesellschaftliche Ursachen zu entdecken. Weder an dem Stück, dessen Erstfassung aus dem Jahre 1918 Brecht immer wieder, wohl gerade wegen dieser als Mangel empfundenen Einschränkung, überarbeitete, noch an der Kieler Inszenierung.

Auf „Baals“ egomaner Bühne: Simon Heinle, Andreas Hilscher, Zacharias Preen, Jennifer Böhm, Marko Gebbert (Fotos: Olaf Struck, Theater Kiel)
Dariusch Yazdkhasti bedient sich freizügig der verschiedenen Versionen des Dramas und anderer Texte aus dem Brechtschen Oeuvre und gebraucht sie als eine Art Steinbruch, aus dem er sich seine Bausteine für eine nicht durchweg überzeugende Bühnenfassung holt. Warum etwa Magdalena Neuhaus die „Erinnerung an die Marie A.“ singen soll, wird nicht deutlich. Vielleicht eine hübsche Idee, eine Arabeske, aber ob das Theater der geeignete Ort ist, auf einer Glatze Locken zu drehen, darf bezweifelt werden. In dem Bemühen, eine erzählerisch stringente Struktur in Brechts letztlich unfertig gebliebenem Stück zu finden, folgt die Regie Baals grenzenlosem und asozialem Freiheitsdrang bis zum bitteren Ende. Auf dem Weg in den Abgrund benutzt und verlässt er eine Reihe von Frauen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, düpiert und beleidigt Anhänger und Bewunderer und bringt in einem Wutanfall seinen besten Freund um.
Mit Marko Gebbert als Baal stellt die Regie ein Urviech auf die Bühne, gegen dessen Egomanie kein Kraut gewachsen ist. Nur selten einmal, wie in einer kurzzeitig anrührenden Begegnung mit Almuth Schmidts sterbender Mutter, zeigt er menschenfreundlichere Züge. Das Problem dabei ist, dass diese Szene wie aus einer ganz anderen, fremden Welt, aus einem anderen Stück der Kieler Inszenierung implantiert wurde und keine Bezüge zu deren Figur des Baal aufweist. Auch andere Szenen, wie die, in der Baal ein Grab schaufelt, ohne dass man weiß, für wen es gedacht ist, bleiben rätselhaft.
Frauen sind Baal bloßes Verbrauchsmaterial, er wütet, brüllt, tobt, umgurrt, bespeit und verhöhnt seine Mitmenschen. Die ungeheure virile Energie, die Marko Gebbert ausstrahlt und bedingungslos einsetzt, degradiert fast alle anderen Akteure zu Spielfiguren im Kosmos der Baalschen Selbstsucht, handle es sich nun um Yvonne Ruprechts ihm umstandslos verfallende Schauspielerin Sophie Dechant, Jessica Ohls erst zickige, dann jammernde Verlegersgattin Emmy oder Magdalena Neuhaus’ siebzehnjährige Unschuld Johanna. Nicht viel anders sieht es mit Simon Heinles Johannes aus, dem naiven Bewunderer Baals, der seine Freundin Johanna dem Untier Baal ausliefert, oder Andreas Hilschers pomadiger Mäzen Mäch. Zu ihnen gesellt sich bei Bedarf auch Jennifer Böhm als verlockende Tresenschlampe und Sängerin Luise. Nur Zacharias Preens Ekart, der als Landstreicher und Gefährte Baals diesem ebenso sekundiert wie widerspricht, gewinnt ein eigenes Profil. Prompt bringt ihn Baal deshalb auch um.
Fast alle Mitspieler treten auch in anderen Rollen auf, Simon Heinle als Showimpresario, Andreas Hilscher als Transvestit – warum eigentlich? – oder Magdalena Neuhaus als Mädchen Anna.
Fazit. Der Versuch, dem Baal neue Seiten abzugewinnen und den Bezug zum Heute herzustellen, bleibt Stückwerk. Dass Marko Gebbert den Dichter Baal auch als Heavy Metal-Sänger gibt, hilft da ebenso wenig weiter wie andere wenig plausible Regieinfälle, die dem Stücken frisches Leben einzuhauchen nur vorgeben.
Weitere Aufführungen: 21., 23., 28., 30. Oktober; 5., 14., 25. November; Karten-Tel.: 0431-901901; www.theater-kiel.de.
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