Wolfgang Müller sang in der Hansa48 alte und neue Lieder von seinem Album „Auf die Welt“
Von Jörg Meyer
Kiel. Dass es mit der Welt bergab gehe, ist eine unter Dichtern lang gehegte und lyrisch gepflegte Einsicht. Der Liedermacher (man darf ihn auch Dichter nennen) Wolfgang Müller stimmt solchem Weltschmerz zwar zu, doch „Traurigsein“ ist für ihn „keine Option“, wie es in „Neongrün“ heißt, dem letzten Song von seinem jüngsten Album „Auf die Welt“ und auch dem letzten (vor nicht weniger als fünf Zugaben) seines mit reichem Beifall goutierten Konzerts am Sonnabend in der Hansa48.
Keine Traurigkeit, keine Verzweiflung spricht aus Müllers Liedern, vielmehr Melancholie ob der Welt-, Lebens- und Liebesläufte, und die ist bekanntlich ein ebenso poetisches wie widerständiges Gefühl. Sich „Im Verhältnis“ (so der Titel eines dieses zum Tanzen bringender Song) zum Leid und Lied neu zu positionieren, ist Müllers Sache schon lange. Aber mit „Auf die Welt“ – wie man munkelt, das Album, das er schon immer machen wollte, dank Crowdfunding endlich auch machen konnte und das daher wohl für lange Zeit sein letztes bleiben wird – fokussiert er sie mit dem „Brennglas des Moments“. An dem ist nichts mehr „selbst erklärend“ und klärt sich doch alles, was in Sachen Weltschmerz heute zu sagen wäre, wollte man die Poesie nicht ins Politische prostituieren.
Jenen wohlfeilen Weg des Widerständigen meidet Müller, wählt vielmehr den schwierigen, Haken und manche Widerhäkchen schlagenden über die Melancholie und Liedverse, die nur im ersten Hörmoment hermetisch und verzwirbelt zergrübelt scheinen, aber schon im nächsten ihren frappierenden Klartext durchscheinen lassen. Kostprobe aus „Auf dem Weg zu einem Mord“: „Wer wirklich etwas will, sagt ’Ich will’ und nicht ’Ich hätte gern’.“ Oder in „Später gern“, das die allgegenwärtige Zeitnot als bloße Mutlosigkeit, sich dem Leben und seinem Lauf auszuliefern, entlarvt: „Bald hab’ ich mehr Zeit.“
Dass „bald“ nicht auf ewig verschoben werden kann, dass es nur als Jetzt gelebt und somit auch besungen werden kann, jenen Widerstand gegen die Zumutung der rasend verrinnenden Zeit, schreibt Müller allen seinen Liedern ein, besonders den neuen. „Wenn ich Pech hab’, ist es Dummheit, wenn ich Glück hab’, nur Unglück“, ruft er allen Zauderern und (Ver-) Zweiflern entgegen. Nein, nicht ruft, er flüstert es uns ein, untermalt von den Gebotsmühlen seines – wie solche Verse grandiosen – Gitarrenspiels. Dass er das weiter tun möge, wenn nicht an der Gitarre, dann zwischen den Herzblutgrätschen eines Buchdeckels, steht beglückt bedichtet zu hoffen.
Infos und Hörproben unter www.mueller-musik.de.
Kontext-Links: Video zu „Unter freiem Himmel“ (von Christian Mertens) (Kurzfilmabend beim Filmfest SH 2014).
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