Ulrich Wickert stellte seinen neuesten Richter-Ricou-Roman vor
Von Hannes Hansen
Kiel. Fast geht es dem Richter Jacques Ricou in Ulrich Wickerts neuem, bei Hoffmann und Campe erschienenem Kriminalroman „Das Schloss in der Normandie“ an den Kragen. Was mischt sich der Moralpinsel auch in Staatsgeschäfte ein. Zwar ist der Mann, den er auf dem Kieker hat, ein in Paris in Saus und Braus lebender Sohn eines afrikanischen Potentaten, bis auf die Knochen korrupt; et après sind französische Politiker schließlich auch. Trotz der Unantastbarkeit, die Jacques Ricou als keinen Weisungen unterworfener Untersuchungsrichter genießt, soll er mit Hilfe einer raffiniert eingefädelten Intrige kaltgestellt werden. Klappt aber nicht, weil sein bester Freund, Kommissar Mahon und seine Geliebte, die Starjournalistin Margaux, ihm aus der Klemme helfen. So kann er dann die Geschichte um Mädchenhandel, Mord und ein als psychiatrische Klinik getarntes Folterschloss zu einem halbwegs guten Ende führen.
Am Dienstagabend stellte Ulrich Wickert seinen sechsten Jacques-Ricou-Roman in der bis auf den letzten Platz besetzten Buchhandlung Hugendubel mit der Lesung einiger ausgesprochen spannenden, richtig leckerfritzig nach mehr machenden Passagen vor.
Vor allem aber erwies sich „Mr. Tagesthemen“ als charmanter Causeur und Dampfplauderer, der über dies und das redete, vom Hölzchen aufs Stöckchen kam, ausführlich über seine Arbeitsweise informierte, die sich streng an belegbaren Fakten orientiere und eng an die auch im schönen Frankreich nicht immer schöne Wirklichkeit angelehnt sei. Was man ja schon daran erkennen könne, dass im Jahre 2004 der damalige Premierminister Alain Juppé wegen illegaler Parteienfinanzierung zu vierzehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurde. Ein Vorgang, den er, Ulrich Wickert, bereits ein Jahr früher in seinem ersten Ricou-Krimi „Der Richter aus Paris“ behandelt habe und zwar zum Erstaunen seiner Leser über die verblüffenden Parallelen von Wirklichkeit und Fiktion – aber Wickert kennt sich nun mal, wie er gestand, in der französischen Politik gut aus. Mit diesem ersten Krimi also habe er sich den Jugendtraum, Kriminalromane zu schreiben, erfüllt, spät zwar, aber immerhin. Damals, als er als junger Stipendiat in den USA studierte und dieser Traum erste, nebelhafte Gestalt annahm, habe ihm, quel dommage, die Überfigur Raymond Chandler im Weg gestanden.
Weiter ging es mit Lobpreisungen der Multikultiatmosphäre im Pariser Stadtteil Belleville im zwanzigsten Arondissement und seines Lieblingslokals Aux Folies Belleville, wo im Übrigen auch Richter Ricou und sein Kumpel Kommissar Mahon gerne essen. Kann man verstehen, denn in Monsieur Yassine Selloums über einhundert Jahre altem Bistro, diese petite digression in Ulrich Wickert-Manier sei erlaubt, speist man in der Tat zu verträglichen Preisen sehr anständig in angenehmer Atmosphäre.
Schließlich erfuhren wir dann noch, mit welchen Problemen Ulrich Wickert zu kämpfen hatte, als er seine Scheu, mit Raymond Chandler zu konkurrieren, ablegte. Da habe er sich so einige Fragen stellen müssen. Wo sollen die Romane spielen? In Deutschland? Nein, schließlich sind „im Verbrechen die Deutschen nur Mittelmaß“. Frankreich also, kennt Wickert ja als langjähriger ARD-Korrespondent gut. Wer oder was sollte der Held sein? Privatdetektiv geht nicht, von wegen Chandlers Philip Marlowe, der einen zu langen Schatten wirft. Kommissar? Nein, Maigret ist unschlagbar. Aber ha, ein unabhängiger Untersuchungsrichter, das passt. Doch was ist, wenn nun plötzlich, wie Wickert kürzlich passiert, ein Lokal die bekannten rot-weiß-karierten Tischdecken durch diese grässlichen Sattelläufer ersetzt und er das nicht mitbekommt? Aufpassen also, sonst setzt es was von den Lesern.
So stand am vergangenen Dienstag weniger der Roman „Ein Schloss in der Normandie“ als sein Autor im Mittelpunkt des Interesses, zumindest seines eigenen. Die selbstverliebte Eitelkeit des Autors ändert aber nichts an der Tatsache, dass es Ulrich Wickert wieder einmal gelungen ist, im Gewande eines Kriminalromans Nachrichten aus der Wirklichkeit zu präsentieren, und zwar ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Richter Ricous „Engagement für eine funktionierende Zivilgesellschaft“, wie Wickert das Handeln seines Helden in Einklang mit seinen eigenen Überzeugungen nennt, ist nicht nur aller Ehren wert sondern bietet auch eine spannende Lektüre.
24. April 2016 um 12:22
Spritzige Rezension, die nicht zu viel verrät, aber neugierig macht.