Hallgrímur Helgason am 10.11. Gast im Kieler Literaturhaus – in seinem neuen Roman „Seekrank in München“ zeigt sich der Isländer wieder einmal als „Meister des Skurrilen“
Von Hannes Hansen
Kiel. Bereits zum dritten Mal ist der Isländer Hallgrímur Helgason am 10.11. im Kieler Literaturhaus zu Gast. In seinem neuen Buch „Seekrank in München“ verarbeitet der Erfolgsautor, der auch als politischer Kolumnist und als Maler, Zeichner und Karikaturist bekannt geworden ist, auf humorvolle Weise seine Erlebnisse als Student an der Münchner Kunstakademie.
Der Held des Buches ist ein junger Mann, der von einer märchenhaften Insel im Norden kommt, um in München Malerei zu studieren. Er kennt weder Lokale noch Bier, aber er weiß genau, was er werden möchte: Künstler. Fast krank vor Schüchternheit muss sich der Student durchschlagen, ohne ein Wort Deutsch zu können. An der Kunstakademie bleibt er zunächst ein Außenseiter, denn mit den neuen Wilden kann er wenig anfangen.
Und auch die Welt draußen ist viel kälter, als es auf Island je werden kann. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass er eine überaus seltsame Gabe hat, die ihn nicht gerade appetitlich macht.
Wieder, wie in „Rokland“ oder „Eine Frau bei 1000 Grad“, Büchern, die er ebenfalls in Kiel vorstellte, zeigt sich Hallgrímur Helgason in „Seekrank in München“ als „Meister des Skurrilen“, wie ihn Literaturhausleiter Wolfgang Sandfuchs nennt. Überhaupt sei ein „schmunzelndes Erzählen“, ein hintersinniger Humor, ebenso ein Kennzeichen der isländischen Literatur wie eine große Welthaltigkeit. Diese Literatur hat in diesem und im vorigen Jahrhundert einen phänomenalen Aufschwung gewonnen und surft auf einer Erfolgswelle. Knapp vierzig, ganz überwiegend auch in andere Sprachen übersetzte lebende Schriftsteller und Schriftstellerinnen listet die „Wikipedia“ auf, dazu weitere zwanzig im vorigen Jahrhundert geborene. Es dürften auch ohne die Herz-Schmerz-Poeten und „Ich auch“-Autoren, die es in Island natürlich ebenfalls gibt, noch mehr Etablierte sein, schätzt Wolfgang Sandfuchs, der seit Jahren einen besonderen Draht zur isländischen Literatur pflegt. Sie habe ihn, wie er dankbar sagt, „noch nie enttäuscht“. So waren im vorigen Literatursommer fünf isländische Autorinnen und Autoren zu Gast in Kiel und stellte erst vor wenigen Wochen Auður Ava Ólafsdóttir ihren neuen Roman vor.
Um die schiere Anzahl isländischer Autoren und Autorinnen richtig einzuschätzen, soll ein Vergleich herhalten. Kiel hat gut 240.000 Einwohner, Island 330.000. Um literarisch mithalten zu können, müssten in Kiel also etwa dreißig in Wikipedia gelistete und in andere Sprachen übersetzte Schriftsteller und Schriftstellerinnen leben. Eine utopische Vorstellung. Der Grund für die explosive Entfaltung literarischer Kreativität dürfte in der Geschichte des Landes liegen. Nach einer Blüte zur Wikingerzeit mit weitreichenden Handels- und Kulturbeziehungen, die in den bekannten Sagas und in der Gedichtsammlung der Lieder-Edda gipfelten, war Island Jahrhunderte lang unter dänischer Herrschaft vom Rest der Welt so gut wie abgeschnitten. Malerei, Bildhauerei, das Theater, Musik waren weitgehend unbekannt. So blieb den meist bettelarmen Bauern und Fischern allein die mündlich vermittelte Literstur als kulturelle Ausdrucksform. Sie erzählten sich in den langen Polarnächten immer wieder die alten Geschichten und Legenden, und noch heute können Isländer die Sagas um den starken Grettir oder die Entdeckung und Besiedlung Grönlands und Amerikas ohne allzu große Schwierigkeiten lesen und verstehen.
Die ökonomische Lage Islands änderte sich im zwanzigsten Jahrhundert und besonders nach der Unabhängigkeit im Jahre 1947. Die Fischgründe um die Insel und die Erweiterung der Nutzungszone auf zweihundert Seemeilen sorgten im Verein mit der billigen Energie aus thermischen Quellen, die die Ansiedlung von Industrien mit hohem Energieverbrauch trotz der Abgelegenheit Islands lukrativ machte, für eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit. Eine Situation, die auch die Finanzkrise der Jahre 2008 bis 2011 mit dem völligen Zusammenbruch des Bankensystems und dem Absturz der Währung nicht grundlegend änderte. Der plötzliche Reichtum und die historische Bindung der Isländer an ihre Literatur sorgten für eine vorwiegend literarisch geprägte Blüte, die in der Verleihung des Literaturnobelpreises an Halldór Laxness, den einstigen Übervater der isländischen Literatur, auch weltweit Anerkennung fand. Aus seinem langen Schatten sind seine Nachfolger und nicht zum mindesten Hallgrímur Helgason, der die an Majestätsbeleidigung grenzende Kühnheit besaß, sich ihm satirisch-ironisch zu nähern, längst heraus getreten.
„Seekrank in München“ – Lesung des isländischen Autors Hallgrímur Helgason, Moderation und Übersetzung: Kristof Magnusson. Dienstag, 10.11.2015, 20 Uhr, Literaturhaus SH, Schwanenweg 13 / Alter Botanischer Garten, Eintritt: 8,- / 5,- Euro, Vvk: Literaturhaus S-H, Schwanenweg 13, Tel. 0431/5796840 oder Litera – Weinkultur und Schöne Bücher, Holtenauer Str. 55, Tel. 0431/8950039, www. literaturhaus-sh.de.
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