Ricarda Regina Ludigkeit belebt am Kieler Musiktheater „My Fair Lady“
Von Christoph Munk
Kiel. „Wäre det nich wundascheen?“ und „Mit ’nem kleenen Stückchen Glück“. Gleich zu Beginn winden sich zwei Ohrwürmer ins Gemüt. Und weiter geht es: „Wart’s nur ab! Henry Higgins“, endlich beglückt „Es grünt so grün“. Ein Hit folgt dem anderen. Schwärmerisch: „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“, schmachtend „In der Straße, mein Schatz, wo du lebst“, temperamentvoll: „Bringt mich pünktlich zum Altar“, endlich einsichtsvoll: „Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht“. Seine Evergreens prägen das Musical „My Fair Lady“ von Alan Jay Lerner und Frederick Loewe – nie verwelkt, alt geworden, immer noch glänzend, Oldies but Goldies eben.

Schwer zu beeinflussen, kaum zu verbiegen: Eliza (Lesia Mackowycz) mit Higgins (Jörg Dabrowski, rechts) und Oberst Pickering (Fred Hoffmann) (Foto: Struck)
Und es fasziniert die rührende Streit- und Liebesgeschichte vom steif-sturen Sprachprofessor Higgins, der um einer Wette willen glaubt, das schlichte Mädchen Eliza zu einer großen Dame nach seinem Bilde trimmen zu können. Der antike Mythos, von George Bernhard Shaw in eine Komödie verwandelt, mag in 60 Musical-Jahren unter seinem Zuckerguss ein bisschen altmodisch geworden sein, doch seine Muster beleben immer noch die Köpfe, die Melodien zünden nach wie vor in den Herzen.
In der Kieler Neuinszenierung beginnt das Spiel wie ein Blick zurück: Während die Ouvertüre schmalzt und schmettert, öffnet Bühnenbildner Hans Kudlich sein Diorama und illustriert, wie es ausgesehen haben dürfte in London vor hundert oder fünfzig Jahren, jedenfalls damals am Blumenmarkt von Covent Garden. Wenn er dann den Raum in die weite Szenerie einer mächtigen Markthalle öffnet, zeigen die Vintage-Kostüme von Gabriele Heimann und Silja Oestmann, wie die Leute einst gekleidet waren, und die bis ins Detail sorgfältige Personenregie von Ricarda Regina Ludigkeit führt vor, wie’s wimmelte zwischen Opernbesuchern, Händlern, leichten Mädchen und schweren Jungs, Säufern, Bettlern, Paaren und Passanten.
In diesen Massenszenen spielt die versierte Regisseurin ihre überragenden Stärken aus: Fantasie und Präzision in ausufernden aber genau getimten Choreografien. Da reizt sie die Mitglieder des Opernchores zu Höchstleistungen. Da lässt sie die Spiellust und die Tanzfreude der vom Philharmonischen Orchester und seinem Gastdirigenten Till Drömann befeuerten Musik bestens gelaunt und aufgekratzt auf die Bühne schwappen – in munteren Wellen, die bis in den Saal reichen.
Ricarda Regina Ludigkeit lässt bei aller Frische den Staub, den das Musical mit den Jahren angesammelt hat, unangetastet. Und das ist gut so. Denn der Konflikt, der sich aus der Dressur einer Frau durch einen Mann ergibt, und die Frage, ob das hier noch zeitgemäß diskutiert wird, treibt wohl die wenigsten Zuschauer in die Aufführungen von „My Fair Lady“. Eher schon das Vergnügen an den unvergesslichen Evergreens, am nostalgischen Flair, das hier als Milieu ausgebreitet wird, und an den scharf und stimmig gezeichneten Typen, die die Handlung bevölkern.
Rudi Reschke ragt da unverkennbar heraus. Sein lustvoll mit Energie gefütterter Vater Doolittle könnte alles an die Wand singen und tanzen. Doch Fred Hoffmann als kugelig-komischer Oberst Pickering, Michael Müller als gefühlstrunkener Freddy, sowie Norma Regelin (Mrs. Pearce), Ilka von Holz (Mrs. Higgins), Siegmar Tonk, William Danne und zahlreicher Chorsänger in fabelhaft ausgeführten Nebenrollen halten mühelos dagegen. Diesem homogen besetzten Ensemble verdankt die Inzenierung ihr Qualitätssiegel. So werden Erwartungen an einen dauerhaften Kassenschlager erfüllt.
Akzentverschiebungen ergeben sich allenfalls durch die beiden Hauptpartien: Lesia Mackowycz beginnt fulminant als kesse Göre mit Berliner Slang (in London? wat denn sonst!?). Und sie bleibt bodenständig: ein stabiles Mädchen aus einfachen Verhältnissen, in Statur und Stimme gefestigt, schwer zu verbiegen, kaum verletzlich, absolut selbstbewusst. Ihr setzt Jörg Sabrowski einen verstockten Henry Higgins entgegen. Dem wendigen Bassbariton liegt dieser trockene Wissenschaftler passgenau in der Kehle, doch den Komödianten unter den Sängern interessiert an der Figur weniger der graumelierte Charme des späten Junggesellen, sondern die unbelehrbare Verstocktheit des weltfremden Frauenverächters und die Sturheit des Gewohnheitstiers: „Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht …“ – mehr Romantik geht nicht. Ein vielversprechendes Happyend zwischen solchen Antipoden – kaum denkbar. Eher fliegende Pantoffeln oder mehr.
Weitere Aufführungstermine und Info: www.theater-kiel.de.
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