Mit den Wise Guys „lief bei euch“ im ausverkauften Schloss alles bestens – oder?
Von Jörg Meyer
Kiel. „Läuft bei euch“ heißt das Anfang September erschienene Album der Wise Guys ebenso zeitgeistig wie zeitgeistkritisch. Auf ihrer gleichnamigen Tour waren die Fabulous Five am Donnerstag im ausverkauften Schloss zu Gast und zeigten, wie gut das auch in Kiel „läuft“.
Auch wenn sie im Opener „A cappella“ das Genre loben, in dem sie vor fast 25 Jahren starteten, die Wise Guys präsentieren sich einmal mehr als perfekter Pop-Act. Man darf kein A-cappella-Purist sein, um ihnen darin zu folgen, was sie seit Jahren von sich selbst sagen: Wir sind mehr Pop und Party als klassische A-cappella. Das machen sie in gewohnter – aber damit auch allzu bekannter und mittlerweile nicht nur gut ein-, sondern auch abgeschliffener – Weise. Gleichwohl wollen sie gerade mit ihrem neuen Album „Läuft bei euch“ ein bisschen anecken. Hören wir mal, ob und wie das läuft.

Meist Pop, aber auch manchmal zeitgeistkritische Poesie: Die Wise Guys mit ihrem neuen Album „Läuft bei euch“ in Kiel (Foto: www.wiseguys.de)
Vielleicht mit „Selfie“, jener geschwinden Parodie auf all die Selbstdarsteller im Netz, Link auf sie selbst ironisch eingeschlossen? Oder ist das doch nur eine Zeitgeistkritik, die sich im Rahmen der repressiven Toleranz der Pop-Kulturindustrie naht- und eckenlos eben dem Zeitgeist der Selbstkritischeren anschmiegt? Das alte Dilemma: Wir wollen uns von Kunst bespiegelt sehen – selbst in unseren Fratzen. Die Smartphones im Publikum jedenfalls „selfien“ fleißig mit.
Vor allem wollen wir auf dem Vulkan, der uns mit „Party unter Palmen“ und der nicht minder rockenden älteren Nummer „Jetzt & Hier“ entzündet wird, tanzen! Kritische Betrachtung von Vergnügungssucht und Old-School-Warnungen à la „Wir amüsieren uns zu Tode“ … geschenkt. Mit den Wise Guys gerät im Schloss auch solches zur unbedingten Party, mitklatschend, -tanzend im Stehen, standing Ovations nicht erst am Ende, sondern mittendrin und ständig. Pop eben. Aber will und kann man den Wise Guys das vorwerfen, zumal, wenn sie den Pop so stimmgeschmeidig inszenieren?
Ein Heimspiel ist das für Tenor Nils Olfert. Vor sieben Jahren kam der Kieler zu den Kölnern, ist inzwischen eine feste Bank, wenn nicht heimlicher Mastermind. Im Cover des Songs „Geboren um zu leben“ des Grafens von Unheilig, „Ich lebe, um zu bohren“, einem hübschen Requiem auf reihenweise Pleite machende Heimwerkermärkte (auch so ein Zeitgeist), mimt Nils im verschwitzten Feinripp-Unterhemd und mit martialisch erhobener Hilti eben das, was wir alle gern wären, und ihm deshalb frenetisch zujubeln: Helden des unser Heim werkenden Alltags, seien es auch bloß traurige. Grandios noch in der Grandezza des Scheiterns! Aber Nils kann auch anders: Zusammen mit Daniel „Dän“ Dickopf hat er die Ballade „Wo bist du?“ über einen verlorenen Freund komponiert. Da kommt in den Pop und die Party Poesie. Trotz großen Pop-Echos nah am Schlager leisere Töne auch in „Ans Ende der Welt“, ebenfalls aus Nils’ Feder.
Doch richtig besinnen sich die Wise Guys erst in der ersten von vier krachend mitgefeierten Zugaben: Das Cover von Pinks „Try“ singen sie ohne Mikrofone mitten unter den Zuhörern. Ein ebenso rührender wie intimer Moment, der beste des Konzerts, der beweist, dass auch A-cappella-Pop nicht ohne Poesie „läuft bei euch“.
Schreibe einen Kommentar