Der erste Poetry Slam des Jahres in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Pumpe

Von Jörg Meyer

Kiel. Lang waren am Donnerstag die Schlange vor der Pumpe und das Warten, doch noch Einlass zu finden in den bis auf den letzten Platz ausverkauften Saal. Neun Poetinnen und Poeten aus ganz Deutschland kämpften dort um den Sieg beim ersten Kieler Poetry Slam des neuen Jahres.

Was und wie „hip“ ein Poetry Slam ist, muss Moderator Björn Högsdal nicht mehr lange erklären, denn wer sich eine knappe Stunde vor der Pumpe angestellt hat, um dem Dichterwettstreit zu lauschen, weiß, warum. Dass sich das frierende Ausharren gelohnt hat, macht schon zu Beginn der Special Guest Bleu Broode (der solo am 24. Januar im Mum&Dad zu hören ist) aus Marburg deutlich. Einen jungen „Hipsterman“ jagt er im wilden Reimwirbel durch das „twitterfasernackte Reich von Instagram“ und beschwört dabei nicht zuletzt den Poetry Slam selbst als „das Orakel von Selfie“, jener durchaus selbstkritischen Nabelschau auf die derzeit wohl erfolgreichste Pop-Subkultur. Der erste Wettbewerbsteilnehmer, Tobi Katze aus Dortmund, weiß, dass er mit 35 schon zur älteren Generation der Hipster gehört und spürt deren Marotten zwischen Kniffelblock und „Marmelade auf Laugenbrötchen“ nach. Die Kielerin Lena Iwersen wirft einen „nicht ganz so witzigen“ Blick auf die „Generation Selfie“, in der „die Unruhe ruht“. Und auch Kaleb Erdmann betreibt „keine Trauerökonomie“. „Wie viel mal Bus Verpassen ist einmal Ebola?“, fragt er provokant und wendet sich gegen das aktuelle Aufrechnen von einem Leid gegen das andere.

Damit zieht der Münchner ins Finale ein, wo er sich leidenschaftlich gegen „das Gerede von ’Leb’ dein Leben’“ – vulgo „YOLO“ – wendet und als Maxime setzt: „Sei verzweifelt!“ Eine brüchige Hipster-Welt, in der sich auch der ebenfalls aus München stammende Thomas Spitzer nicht heimatlich fühlt. Vielmehr entwirft er humorvoll eine Gegenwelt, in der „alles anders wäre“, in der man „Otherlies statt Selfies“ machte und Frühlingsgefühle „Fifty Shades of May“ wären. Dort teilt er sich den ersten Platz mit Kaleb Erdmann.

Rainer Holl selbstironisch über das Hipster-Dasein: „Wir sind keine Angeber, sondern Aufgeber!“ (Foto: rainerholl.tumblr.com)

Rainer Holl selbstironisch über das Hipster-Dasein: „Wir sind keine Angeber, sondern Aufgeber!“ (Foto: rainerholl.tumblr.com)

Auf dem zweiten Platz landet der Bochumer Rainer Holl mit seinen hochgeschwinden Reimkaskaden über das durch all die Hipster-Gebote aus den Fugen geratene „Dasein“. In der Vorrunde hatte er sich gegen die Kielerin Leonie Balkau und ihren als im Hipster-Universum eng empfundenen „Tellerrand“ sowie Danny Koch (Halle) durchgesetzt, der reklamiert, dass eben nicht sprichwörtlich „das Leben die schönsten Geschichten schreibt“, sondern immer noch und immer wieder „wir selbst“. Oder doch die Außerirdischen, die der Kieler Debütant Tom Toxic als Chiffre für das „alles schon mal Dagewesene“ nimmt? Poetische Skepsis gegenüber Pop und Party herrscht auch bei der Lübeckerin Maria Victoria. Das Leben sei „wie ein Ballsaal, in dem man nicht tanzen kann, weil die Band sich dauernd verspielt“.

In der drangvollen Enge des Pumpen-Saals verspielt sich indes niemand, es sei denn spielerisch das „Orakel von Selfie“ deutend wie Rainer Holl. „Wir sind keine Angeber, sondern Aufgeber“, ruft er in die Runde. Natürlich voller bissiger Selbstironie eines, dessen wie unser Selfie „beim Frisör das Vorher-Foto“ ist. Denn gerade das ist heuer hip!