Von Heiko Buhr

Der österreichische Schauspieler Oskar Werner (1922-1984) war eines der größten Schauspielgenies des 20. Jahrhunderts. Seine Rollen in Filmen wie unter anderem „Jules und Jim“, „Fahrenheit 451“ oder „Das Narrenschiff“ sind ebenso legendär wie seine Hamlet-Darstellung auf der Bühne. Oskar Werner war dazu bei seinem Debüt der jüngste Burg-Schauspieler überhaupt. Aber leider liegen Genialität und Wahnsinn bzw. Selbstzerstörungswut oft unmittelbar beieinander – und so hat sich Oskar Werner, der hochsensibel war, schon früh der Trunksucht hingegeben, was vor allem zu einem vorzeitigen Ende seiner Schauspielkarriere führte.

U1_978-3-87134-768-9.inddDer ebenfalls großartige Schauspieler Michael Degen, geboren 1932 und heute insbesondere als Vice-Questore Patta bekannt aus den Donna-Leon-Verfilmungen, begegnete vollkommen unerwartet Oskar Werner gut ein Jahr vor dessen Tod in Vaduz. Degen war dort bei einer Theateraufführung als Schauspieler, Oskar Werner als Zuschauer. Nach der Vorstellung findet Degen einen Zettel in seiner Garderobe, es warte in der Kassenhalle jemand auf ihn. Dort erkennt er an der unverwechselbaren Stimme den verehrten Oskar Werner, der ihn mit zu sich nach Hause nimmt. Die beiden Theater- und Filmschauspieler verbringen dann trinkend und miteinander sprechend, beides vor allem Oskar Werner, die Nacht. Es geht um Regisseure, Theater, Schauspieler, Rollen, Filme, aber ebenso ums Leben, die eigene Existenz und das eigene Selbstverständnis.

Es ist beinahe ein Kampf, den die beiden da miteinander austragen, der Gigant Oskar Werner, bereits beruflich am Ende, und ein fassungsloser Michael Degen, der nicht begreifen kann, wie sich einer der bedeutendsten Film- und Theaterdarsteller, der zugleich unglaubliche Rollenangebote einfach ausgeschlagen hat, derart zugrunde richten konnte.

In seinem Erinnerungsbuch, dem „Roman einer wahren Begegnung“, gibt Michael Degen die Begegnung wieder und zugleich Einblicke in die Schauspielerseelen, ihre Biografien sowie Höhen und Tiefen ihrer Karrieren. So ist dieses starke, zu Herzen gehende Buch einerseits ein wunderbares Plädoyer für ein Theater der Schauspieler und nicht der Regisseure, andererseits das Dokument einer menschlichen Tragödie.

Michael Degen: „Der traurige Prinz“, Rowohlt Berlin 2015, 251 S., 19,95 Euro