Gerald Eckert: „on the edges“
(mode records, mode 288, New York)

Von Jörg Meyer

In vielen Kompositionen Gerald Eckerts geht es um das vieltönende Nichts. „Klangforschungsobjekte“ in diesem Sinne sind auch „An den Rändern des Maßes“, „Sopra di noi … niente“ und „Bruchstücke … erstarrtes Lot“, drei Kompositionen aus ganz unterschiedlichen Schaffensperioden, die auf dieser CD versammelt sind, weil sie eines gemeinsam haben: Sie thematisieren das Nichts in seiner transzendenten Fülle.

Eckerts Musik bewegt sich an den Rändern des Klangs, in Extreme wie die Stille oder auch die Explosion, an Grenzwerten also. Nichts und Fülle sind dabei die zwei Seiten der selben Medaille und damit Gegensätze, die nicht aufgehoben werden, sondern sich in ihrer Dialektik (im Hegelschen Sinne) transformieren. Ludwig Wittgenstein, den Eckert des öfteren zitiert, schreibt in seinem „Tractatus logico-philosophicus“ (Abschnitt 5.61) wie folgt über die Grenzen / Grenzwerte der Logik: Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen. Wir können also in der Logik nicht sagen: Das und das gibt es in der Welt, jenes nicht. Das würde nämlich scheinbar voraussetzen, dass wir gewisse Möglichkeiten ausschließen, und dies kann nicht der Fall sein, da sonst die Logik über die Grenzen der Welt hinaus müsste; wenn sie nämlich diese Grenzen auch von der anderen Seite betrachten könnte.“ Das gilt analog für den Klang, wenn nicht sogar für die Musik überhaupt.

Das CD-Cover bildet auch die Fülle des Nichts ab (Foto: mode recordsI

Auch das CD-Cover bildet die Fülle des (wohl-) lautenden Nichts ab (Foto: mode records)

Über die Stille sagt man somit sehr viel, wenn man ihr wie Eckert zum Rand des Verstummens, ins „Niente“, folgt – oder sie reziprok in extremer Verdichtung explodieren lässt: Explosion = Implosion. Das Eigentümliche (aber in seiner Dialektik Verständliche) dieser Grenzwerterforschung ist, dass sich die Komplexität des Klangs gerade in seiner Ausdünnung (ebenso Verdichtung) ins Nichts steigert. Dort, wo rein physikalisch der Klang kaum noch (beschreibbar) ist, in seiner Verengung zum (fast) Nichts oder in seiner Explosion in unüberschaubare Fülle, wird er umso komplexer und vielschichtiger. Wo Stille und noch (oder schon) Klang kaum unterscheidbar sind, wo seine Eindeutigkeit und Verortbarkeit verloren gehen, wo der Klangkörper ins Nichts seiner Fülle „diffundiert“, scheint das Klangmaterial seine spezifische Beschaffenheit besonders deutlich auszuprägen.

Anders gesagt: Wo die Determiniertheit des Klangs an seine Grenzwerte stößt – nah an der Stille oder Explosion –, setzt ein Prozess hin zur Transzendenz ein, zu einer Musik, die sich vor allem in ihrem nicht mehr oder vice versa übervollen Sein energetisiert.

Klang ist dabei die Dekonstruktion und darin auf die jeweilige Spitze getriebene Rekonstruktion seiner Körperlichkeit. Warum heben wir so sehr ab auf das Jenseits (also das Nichts) im Diesseits (also das Nicht-Nichts im so genannten „Etwas“)? Weil wir in Eckerts Musik erkennen, was Musik ist, wenn sie ihr Nichts (was das gleiche ist wie ihre Fülle) aufruft. Im Nichts explodiert die Fülle des Etwas umso eindringlicher. Der Körper wird erst solcher in seiner transzendierten Körperlosigkeit, die Fülle wächst direkt aus der und in die Leere.

Und wechselt die Achsen: Vertikale Schichtungen, die Erneuerung der Polyphonie, treffen auf die Verengung ins (Nicht-) Lineare, die sich bewusst ins Chaos der Stille wie der Explosion begeben. Eckerts „Bruchstücke“ sind so erst im brüchigen Lot. Wie das „Niente“ im „Sopra …“ eben das nicht ist, was der Titel verspricht. Als sei das Nichts fassbar, indem man es füllte mit lauter(em) Nichts. An den Rändern des Maßes erst wird Eckerts Musik so maßlos, dass sie negiert das Maß hin zu seiner Transzendenz.

Hörerlebnis: Seinem Klangkosmos „Sopra di noi … (niente)“ setzt Eckert im Werkkommentar einen geistigen, wenn nicht geistlichen Vers aus Dantes „Göttlicher Komödie“ voran: „Ich kam zum Ort, wo alle Lichter schwiegen.“ Ein Requiem also – nur worauf? Vielleicht darauf, dass der Geist die verschiedenen Erscheinungsformen des „Seinshorizontes“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln erkennen kann. Spätestens wenn aus all dem Leisen des Leidens plötzlich die Explosion bricht, wenn im verlöschenden Nachhall dessen das krude, manchmal unaushaltbare Sein als Echo seiner selbst umso nachhaltiger nach- und verklingt. Nicht diese monströsen Tutti-Schläge des Orchesters sind die Ereignisse, sondern wenn es echot ins Nichts und sich dabei seine wirkliche Klang- und Seinsgestalten entfalten.

Das Echo wird so zum eigentlichen Klang eines Bei-sich-Seins, das hier – symphonisch – eindringlich formuliert wird; im Hinterfragen, als Mut machende Verzweiflung an den immer entfernteren und damit unseren Körpern näher kommenden Echos des Daseins.

Ich habe Eckerts Musik immer als die gehört, die sie bewusst nicht ist: Krach der Stille, Ex- / Implosion ins „Niente“ der unbedingten „Fülle des Wohllauts“ – wie in Thomas Manns „Zauberberg“ Hans Castorp unter anderem Wagner hört: als Kunstwerk, das alles Kunstbedürfnis im darüber Schweigen stillt. Ist das … Stille? Ja, die unserer Zeit, die aus aller Zeit (und jedem Maß) sich fallen lässt und also nicht – und damit – ist: ein mannigfaltig klingender Körper im Nichts. Über den kann man nicht sprechen, man muss ihn hören. (zuerst veröffentlicht als Text im Booklet zur CD)

Gerald Eckert: „on the edges“
ensemble reflexion K und Gäste
mode records (mode 288), New York
Erscheinungsdatum: 5.2.2016

Werke – Wirkung – Relevanz I: Gesprächskonzert und CD-Release:
Freitag, 19. Februar 2016
19.30 Uhr: Empfang (Turmcafé St. Nicolai-Kirche) zum 15. Jubiläum der Konzertreihe „Neue Musik Eckernförde“
20 Uhr: Konzert (St. Nicolai-Kirche, Eckernförde): Werke von Gerald Eckert, Robert HP Platz, Nicolaus A. Huber und Peter Gahn (ensemble reflexion K, Ltg.: Gerald Eckert)