Der Kieler Filmemacher Kurt Denzer erklärt, wie aus Doku-Resten eine Travestie wurde
Von Christoph Munk
Kiel. Er gehört zu den wichtigsten Filmemachern in Schleswig-Holstein. Zudem holte er als Leiter des Archäologie-Filmfestivals „Cinarchea“ internationale Verbindungen ins Land. Unter den mehr als 20 Filmen, die Kurt Denzer als Regisseur und Produzent verantwortete, nehmen die sieben Dokus über die Wikinger-Welt und das Museum in Haithabu eine Sonderstellung ein. Mit ihnen lieferte er einen bedeutenden Beitrag zur filmischen Aufarbeitung der Landesgeschichte. Gewissermaßen als Bilanz oder Vervollständigung der damals im Auftrag der Kieler Universität produzierten Reihe legt er jetzt eine ganz persönlich geprägte Produktion vor: „Apropos Haithabu – noch Fragen?“. Diese, von Denzer als Travestie bezeichnete Arbeit, ist im Rahmen des „Heimspielabends 3.0“ am Freitag, 12. Februar, um 19 Uhr in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek zu sehen. Im Interview mit unserem Kulturblog erklärt der Filmemacher wie es zu dem 34-minütigen Film kam – kommen musste.
Warum war es sinnvoll nach sieben im Auftrag der Universität Kiel hergestellten Dokumentarfilmen über die Wikinger und die Siedlung und den Handelsplatz Haithabu einen weiteren Film nachzulegen?
Denzer: Zunächst war es so, dass mit meiner Pensionierung die Arbeitsgruppe Film an der Uni aufgelöst wurde, und alles Rest-Film-Material aus der bisherigen Arbeit drohte im Container zu landen. Mit ein paar Studenten rettete ich, was zu retten war, digitalisierte die Aufnahmen, damit ich sie auch ohne Schneidetische, die mir dann nicht mehr zur Verfügung standen, bearbeiten konnte. Denn es gab noch viele Aspekte, die nicht verloren gehen sollten.
Der Titel „Haitthabu – noch Fragen?“ weist sicherlich absichtsvoll auf eine besondere Form dieser filmischen Bilanz hin?
Denzer: Ich habe bewusst die Form der Travestie gewählt, also eine komische, satirische Umbildung ernsthafter Inhalte. Denn es sollten zwar wissenschaftliche Erkenntnisse transportiert werden, gleichzeitig aber mit den Mitteln der Parodie und Satire eine Distanz hergestellt werden, die es dem nachdenkenden Zuschauer ermöglicht, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Welches sind die wesentlichen Themen, Probleme, Konflikte, die der Film satirisch-kritisch aufs Korn nimmt?
Denzer: Der Name Haithabu ist sehr unglücklich im rechten Milieu angesiedelt. Das liegt vor allem daran, dass seit 1930 die Ausgrabungen dort von dem NS-Archäologen Herbert Jankuhn betrieben / geleitet wurden, der dann als SS-Obersturmbannführer in der Nazi-Organisation SS-„Ahnenerbe“ die Ausgrabungen bis zum Beginn des Krieges 1939 leitete. In seinen Veröffentlichungen – zum Beispiel „Haithabu – eine germanische Stadt der Frühzeit“ (1937) – vereinnahmte er die „Siedlung auf der Heide“ für die deutsch-nationale Tradition. Doch die heutigen, im Film zitierten Wissenschaftler weisen darauf hin, dass der Begriff „Germanen“ einfach romantisiert ist und gar nicht in die Zeit der Wikinger gehört. Außerdem ist inzwischen belegt, dass Haithabu keinesfalls in erster Linie eine Siedlung der Wikinger war, sondern ein internationaler Handelsplatz, der von vielen Völkern und Stämmen genutzt wurde, also global bevölkert war, ein frühes Beispiel für einen multi-ethnischen Ort. Im Grunde ist es so, dass wir trotz der zahlreichen Funde wenig über Haithabu wissen. Auf diese Erkenntnis mit den Mitteln des Films hinzuweisen, macht den besonderen Spaß dieser nachgelegten Haithabu-Produktion aus.
Sind diese Fehleinschätzungen im deutsch-nationalen Sinne und die anderen Irrtümer nicht heute völlig ausgeräumt?
Denzer: Nicht ganz, wie ein persönliches Erlebnis während der filmischen Auftragsarbeiten belegt. Vermutlich unter dem Eindruck der großen Preußen-Ausstellung in Berlin und der Staufer-Schau in Stuttgart suchte Schleswig-Holstein in den 1980ern ein nordisches Pendant. Und so wurde ich von der Regierung Barschel aufgefordert, im Film deutlich werden zu lassen, dass die versunkene Wikinger-Siedlung von einem schleswig-holsteinischen Schulmeister wiederentdeckt wurde. Mein Einwand, der erste Hinweis auf Haithabu stamme von dem Dänen Sophus Müller, wurde mit der Anordnung quittiert, „da reicht ein Anruf von uns, das war so …“ Ich „fand“ dann einen – und nannte ihn Harm Harmsen. Das gab mir die Möglichkeit, die Frage, wie denn die Geschichte Haithabus ohne Harm Harmsen verlaufen wäre, mit einem Wort zu beantworten: „harmlos“.
Welche weiteren Mittel der satirischen Distanzierung werden in „Apropos Haithabu“ eingesetzt?
Denzer: Besonders wichtig ist mir eine Form der Bildmontage, die auf Assoziationen setzt. Zwei Beispiele: Wenn über die belastete Bedeutung „deutsch“ gesprochen wird, zeige ich, wie von einem LKW archäologischer Aushub von Haithabu als Müll abgeladen wird. Oder als Parallelmontage zu Aufnahmen, auf denen Archäologen einen geborgenen Ochsenschädel abspritzen, zeige ich Dokumentarmaterial über den Einsatz von Wasserwerfern auf Demonstranten gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf in jener Zeit. Doch darüberhinaus gibt es für den Kenner wie für den aufmerksamen Betrachter weitere zahlreiche Anspielungen und hintergründige Verweise auf die handelnden Personen im Film zu entdecken.
Weitere Filme beim „Heimspielabend 3.0“ am 12. Februar, 19 Uhr in der SH-Landesbibliothek, Kiel, Wall 47/51: „Fußspuren in die Vergangenheit“ (90 min.); „Die mysteriösen Steine von Hakkari“ (40 min.); „Eine Torheit Neros“ (11 min.)
7. Februar 2016 um 18:09
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