Titus Georgi inszeniert am Kieler Schauspiel Roland Schimmelpfennigs „Wintersonnenwende“ als Kasperletheater
Von Hannes Hansen
Man kennt die Figuren und ihre Konstellation in Roland Schimmelpfennigs „Wintersonnenwende“ aus Dutzenden von Zimmerschlachtdramen, von Karl Valentins Grotesken über Martin Walsers dem Genre den Namen gebender „Zimmerschlacht“ und Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ bis zu weiteren Stücken ähnlichen Strickmusters.

Claudia Macht, Werner Klockow, Oliver E. Schönfeld, Imanuel Humm, Yvonne Ruprecht (Fotos: Olaf Struck)
Der deutsche Erfolgsautor mischt in dem im vorigen Jahr am Stockholmer Nationaltheater „Dramaten“ uraufgeführten Stück alle bekannten Ingredienzien zu einem neuen Rezept. Da ist das linksliberale Ehepaar Albert, ein Verleger, Buchautor und Bedenkenträger, wie er im Buche steht, und seine zickige Ehefrau Bettina, die nach allerlei anderen kulturellen Tätigkeiten ambitionierte, aber weitgehend erfolglose Filme macht. Dass die beiden sich ständig fetzen und außereheliche Liebschaften pflegen – logisch, das gehört zum Genre. Ebenso wie Bettinas Mutter, die zum bevorstehenden Weihnachtsfest angereist kommt und ihrer Tochter in gegenseitiger Hassliebe verbunden ist. Und auch der erfolglose Maler Konrad, der, an seiner Kunst zweifelnd, mächtig auf dicke Hose macht, wenn sich die Gelegenheit bietet, ist ein alter Bekannter.
Und schließlich stellt sich noch ein ungebetener Gast ein, und auch der ist nicht ganz neu in diesem Ensemble: Rudoph, ein geschniegelter Deutscher aus Paraguay (Achtung, Nazifamilie!) mit Manieren, die zwischen schmierigem Charme, brüsker Arroganz und rassistischem Herrenmenschentum wechseln. Wir ahnen gleich, mit dem Kerl stimmt was nicht und wenn er schon bald von den nordischen Göttern Odin und Loki zu faseln beginnt, sind wir dessen sicher und das zu Recht.
Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ oder auch Boris Vians absurdes Drama „Die Reichsgründer oder das Schmürz“ lassen ebenfalls grüßen, Stücke, in denen die Menschen einfach nicht wahr haben wollen, was doch offensichtlich ist, dass nämlich ihre ungebetenen Gäste Übles im Schilde führen. Hier ist es Rudolph, der aus dem bevorstehenden Weinnachtsfest eine Wintersonnenwende macht, Albert als „Judensau“ beschimpft und noch allerlei anderes Nazi-Wortgut absondert. Und keiner schmeißt ihn raus. Albert versucht das zwar, aber der Schlaffi kommt damit nicht weit.
Das Stück macht aus diesen Elementen eine Art collagierten Comic Strip, in dem die Figuren ständig neben sich treten, Regieanweisungen geben und in bester Brechtscher Verfremdungseffekt-Manier Auskunft über ihre Gefühle und die der anderen Personen geben. Man weiß nur nicht warum. Ein – wie von Brecht gefordert – Innehalten des Publikums, ein Abrücken von der Identifikation mit den Bühnenfiguren und ein Nachdenken über das Gesagte bewirken diese Bühnentricks nicht, ebenso wenig wie die Rückblenden, mit denen Roland Schimmelpfennig arbeitet und sein Stück dramaturgisch aufhübscht.
Auf Anika Marquardts mit wenigen Versatzstücken ausgestatteter Bühne, deren Funktion auf weite Strecken unerkennbar ist und die einfach eine bildhafte Metapher – für was auch immer – abgeben, stellte Regisseur Titus Georgi am Sonntagabend im Studio des Kieler Schauspielhauses Roland Schimmelpfennigs postmoderne Mixtur „Wintersonnenwende“ vor. Die Inszenierung setzt auf einen Schelm anderthalbe. Ist schon die Vorlage ein wenig holzschnittartig geraten, so macht die Regie daraus eine Groteske, ein weitgehend absurdes Kasperletheater, das die Konturen zugunsten komischer Effekte verwischt. Kein Wunder, dass alle Beteiligten kaum eine Chance haben, aus den Schablonen, in die die Regie sie presst, auszubrechen. Immerhin bedienen Oliver E. Schönfelds Hampelmann Albert, Yvonne Ruprechts Nervensäge Bettina und Claudia Macht als Bettinas kindisch greinende Mutter die Klischees genauso typgerecht wie Imanuel Humms übergangslos zwischen Selbstmitleid und Nazi-Wahn wechselnder Maler Konrad und Werner Klockows Neonazi Rudolph. Wie Comicfiguren sind sie alle zur Kenntlichkeit verzerrt und wir dürfen sagen: Ja, ja, so sind sie, die anderen.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
2. März 2016 um 15:09
Herr Hansen, Kasperletheater scheint ein beliebtes Wörtchen zu sein, welches Sie für Kritiken benutzen.
So einfallslos dürfen Regisseure nicht sein, sonst bekommen sie von zwei gesetzten Herren harsche Worte an den Latz geknallt.
Wann kritisiert endlich einer unsere Kritiker?
3. März 2016 um 13:00
Tja, Herr Franz, was tun, wenn mich eine Inszenierung an ein Kasperletheater erinnert? Aber gut, man (ich) sollte das Wort nicht zu oft benutzen. Nur: ich kann es nicht finden in meinen Theaterrezensionen. Helfen Sie mir, bitte.