Die Kunsthalle Kiel zeigt in einer großen Übersichtsausstellung 130 Werke der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn

Von Hannes Hansen

Miriam Cahn, "In die Wüste" Foto: Helmut Kunde

Miriam Cahn: „In die Wüste“
(Fotos: Helmut Kunde)

Kiel.  Es sind schlichte, einfache Bilder, die den Besucher der Ausstellung „AUF AUGENHÖHE“ in der Kieler Kunsthalle begrüßen: ein Koffer, ein brennendes Wägelchen, ein Benzinkanister, eine Bahre – allesamt Chiffren, Zeichen für das Thema, das den nächsten Raum bestimmen wird. Ein vielfach variierter Text mit dem Titel „Folterbilder Mai 2004“, der den Bezug zum zweiten Golfkrieg deutlich macht, setzt den Tenor für diesen nächsten Raum. Er zeigt Menschen auf der Flucht. Trotz des Schleiers, den einige Frauen tragen und der sie als Muslimas kennzeichnet, sind diese Männer, Frauen, Kinder entindividualisiert, anonyme Hilfsbedürftige. Die Namenlosen sind nackt, einige sind versehrt, alle sind schutzlos der Gewalt, die sie vertrieben hat, ausgeliefert. Auf manchen der zehn großformatigen Gemälde sind sie ganz klein und wirken wie erdrückt von den Farbflächen, vor und unter denen sie stehen. Auf einem Bild sind sie ganz verschwunden, wie ausradiert. Wüsste man nicht, worum es in diesem Raum geht, man hielte das Bild für ein Beispiel abstrakter Farbfeldmalerei. Nichts deutet auf das, was es verbirgt, hin, nur die Gesamtkonzeption des Raums gibt ihm seien verborgene Bedeutung nachdrücklich zurück.

Miriam Cahn, o.T. Foto: Helmut Kunde

Miriam Cahn: o.T.

Mit Bedacht und gedanklicher Konsequenz hat Miriam Cahn diese Installation zusammengestellt und ihr den richtigen Ort in der Kunsthalle zugewiesen – eine Haltung, die die 1949 in Basel als Tochter der Shoa entkommener deutscher Juden Geborene auch auf der Documenta 7 bewies, als sie sieben ihrer Bilder zurückzog, weil sie sich vom künstlerischen Leiter Rudi Fuchs falsch behandelt fühlte.

In weiteren Räumen sind Kreide- und Kohlezeichnungen, Gemälde, Performance-Videos, Texte, Fotografien und Filme Miriam Cahns zu sehen. In einer großen Einzelausstellung zeigt ab Samstag die Kieler Kunsthalle in zwölf mit gleicher Konsequenz gestalteten Räumen 130 ihrer Werke aus vier Jahrzehnten. Nicht alle sind sie in ihrer menschlich-politischen Haltung so explizit wie die Bilder von Flucht und Vertreibung, doch auch in den allerprivatesten zeigt sich eines der zentralen Anliegen der Künstlerin und Antrieb ihres Schaffens: die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen zwischen Nationen und Menschen, zwischen Männern und Frauen, Kriegführenden und Kriegsflüchtlingen. Ihnen allen will sie mit ihren Bildern „AUF AUGENHÖHE“ begegnen.

Miriam Cahn, "RAUM-ICH / räumlich-ich" Foto: Helmut Kunde

Miriam Cahn: „RAUM-ICH / räumlich-ich“

Da signalisieren auf kleinen Bildern rote, stur geradeaus blickende Männergesichter das Prinzip aggressiver Männlichkeit, geneigten Kopfes stehen blaue Frauenköpfe für ebenso würdevolle wie nachdenkliche Weiblichkeit. Das erscheint zunächst plakativ, doch wieder sind es einfache Chiffren, die in anderen Zusammenhängen auftauchen können und dort eine komplexe Wirklichkeit anzeigen.

Miriam Cahn bei der Arbeit

Miriam Cahn bei der Arbeit

Alle Wände eines Raums bedecken riesige Papierbilder wie ein überdimensionaler Comic Strip. Die schwarzen, expressiven Kreidebilder mit dem sprechenden Titel „Das wilde Lieben“ stehen für das Prinzip der Performanz, für den vollen körperlichen Einsatz, mit dem Miriam Cahn sich in solch symbolhafte Bilder geradezu hineinwühlt, bis Bild und Körper eins werden und sich in vibrierende Energie auflösen.

Und so geht es weiter in der Kunsthalle, ein Strom von Bildern, von Kohle- und Kreidezeichnungen. Manche von ihnen hat Miriam Cahn mit verbundenen Augen gestaltet, ganz den inneren Visionen hingegeben, die zum Ausdruck drängen. Ambivalente Aquarelle, auf denen die Farbe wie zufällig verläuft, stehen für die Schönheit und den Schrecken einer Atombombenexplosion, fratzenhafte Bilder von Menschen und Tieren stehen neben wild züngelnden Pflanzen, Kurzfilme geben Einblick in die Arbeitsweise der Künstlerin.

Mirim Cahn, o.T. Foto: Helmut Kunde

Miriam Cahn: o.T.

Fazit: Die Ausstellung „AUF  AUGEN-HÖHE“ ist ein Kosmos von Bildern, der als Einheit wahrgenommen werden will. Gerade auch in der gewählten Anordnung der Bilder ist sie ein Gesamtkunstwerk, bei dem das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Infos: 
www.kunsthalle-kiel.de/de/ausstellungen/