Daniel Karasek und Georg Fritzsch schmieden mit Wagners „Die Walküre“ weiter an einem soliden Kieler „Ring“

Von Christoph Munk

Kiel. Generalintendant Daniel Karasek blättert weiter in seinem theatralischen Bilderbuch nach Richard Wagners Opern-Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. In deren Teil zwei, „Die Walküre“, bietet er ein dramatisches Kammerspiel in schicken Wohnungen und vor zauberischen Naturbildern. Soviel fürs Auge. Und die Ohren sättigen Generalmusikdirektor Georg Fritzsch, fabelhafte Solisten und das hoch konzentrierte Philharmonische Orchester mit einem vollendeten Wagner-Sound.

Mag sie auch knien, Frick (Alexandra Petersamer) setzt sich gegen Wotan (Thomas Hall) durch. (Foto Olaf Struck)

Mag sie auch knien, Fricka (Alexandra Petersamer) setzt sich gegen Wotan (Thomas Hall) durch. (Foto: Olaf Struck)

Von Beginn an werden Bildergelüste befriedigt. Konrad Kästners Videokamera wackelt und jagt durch ein winterkahles Walddickicht. Hinter dem Sucher – man ahnt es – der von Feinden gehetzte Siegmund. So braucht sich niemand vorzustellen, was Wagner mit seinem Orchestervorspiel musikalisch ausmalen wollte. Überraschung dann: Der Fliehende landet in einem stickig holzgetäfelten Biedermann-Jagdhaus, geräumig und mit hübschem Ausblick auf einen behaglich baumbestandenen Bach. Drumherum färbt es sich herbstbunt jetzt. Später erst leuchtet dort im mildem Lichte der Lenz.

Vorerst erzählt Karasek in geläufigen Arrangements, was passiert, wenn eine junge, in Zwangsehe gebundene Frau auf einen erschöpften, aber liebesbereiten Fremden trifft. Jagdherr und Ehemann Hunding (robust: Timo Riihonen) scheidet dank KO-Tropfen aus. Die Gelegenheit ist günstig: „Bist du Siegmund, den ich hier sehe: Sieglinde bin ich, die dich ersehnt: die eig’ne Schwester …“ Geschwisterliebe also, Wagners Spezialität, die als Wälsungen-Blut Psychologie und Literatur durchtränkt. Die Minne, der Lenz, der Mond, das Schwert: fort von hier? Nein, sie vollbringen’s auf heimischer Decke. Das wäre, ach, so banal, wenn Richard Wagners Komposition das Geschehen nicht ins Edle, Exquisite triebe. So sprühen Agnieszka Hauzers strahlender Sopran und Bryan Registers warm glänzender Tenor inmitten des brausenden Orchesterklangs. Das glüht und blüht und jubiliert – Fritzsch und Consorten lassen Ekstase raus.

Auch Wotan wohnt am Wald. Ausblick oder nur Fototapete? Jedenfalls schimmert im Hintergrund massiver Baumbestand in bläulichem Licht. Für das Interieur davor hat Bühnenarchitekt Norbert Ziermann Sanitäreinrichtung vom Feinsten kommen lassen. Im weitläufigen Badezimmer rüstet der Herr sich zum Streit. Er legt nach und nach seine auf Kampfbereitschaft weisende Kleidung an (Kostüme: Claudia Spielmann). Und klar: Ohne frisch gebürstete Zähne geht es nicht. Doch Göttergattin Fricka hat den härteren Biss. Alexandra Petersamer gibt dieser Frau in Stimme und Gestalt so viel Eleganz wie Energie, so viel moralische Überzeugungskraft, dass Wotan, so smart ihn Thomas Hall auch dagegen stellt, an ihren Forderungen scheitern muss. Hier scheiden sich die Geister. Mehr noch: Hier fällt das Todesurteil für Hoffnungssohn Siegmund und hier werden die Gründe zur Verbannung von Lieblingstochter Brünnhilde gelegt. Hier wendet sich das Schicksal des ganzen Geschlechts. Man weiß es: Hier zerfällt Wotans großer Plan zur Rettung der Welt.

Siegmund (Bryan Register) empfängt durch Hunding (Timo Riihonen) den Todesstoß; links: Wotan (Thomas Hall). (Foto Olaf Struck

Siegmund (Bryan Register) empfängt durch Hunding (Timo Riihonen) den Todesstoß; links: Wotan (Thomas Hall). (Foto: Olaf Struck)

Doch hier lässt Daniel Karaseks szenisch dekorative Ausgestaltung elementare Fragen offen. Wer oder was ist Wotan? Ganz offensichtlich der Herrscher in einer konkret fassbaren, menschlich ausgestalteten Welt – so trivial irdisch, dass die Sphäre der Götter weit weggerückt erscheint. Sein Machtbereich? Weit kleiner als ein Universum vom Himmel bis in die Tiefen der Unterwelt. Sein Walhall erscheint im Hintergrund eher als ein effektiv beleuchteter, von Flugobjekten umkreister Industriekomplex denn als visionäre Metropole der Zukunft. Sein Job? Konzernchef, Vorstandvorsitzender, doch vielleicht nur Abteilungsleiter, denn er gebietet in den Walküren über eine Schar fleißiger Hilfskräfte, die eilfertig Leichen in Kühlfächer verstauen. Betätigt sich Wotan möglicherweise also als Bestattungsunternehmer mit zukunftsträchtiger Geschäftsidee? Doch welche Verträge binden ihn in dieser Branche? Was bedeutet dort ein Fluch? Warum muss er sich in seinen Entscheidungen zwischen Liebe und Macht althergebrachter Verbote gegen Ehebruch und Geschwisterliebe beugen?

Bedarf es schlüssiger Antworten auf solche Fragen nach tieferer Bedeutung? Gewiss nicht. Denn Daniel Karaseks Bilderbuch lässt sich in der bloßen Absicht, die Geschichte vordergründig zu verstehen, locker weiterblättern. Das ergibt einen plausiblen Handlungsablauf – mit Überraschungen. Denn im Finale des zweiten Aktes wird spätestens mit der Todesverkündung eine – gewiss als Hommage gedachte – Nachahmung von Patrice Chéreaus legendärer Jahrhundert-Inszenierung in Bayreuth von 1976 erkennbar. Am Ende ergibt sich das bekannte, bewegende Familiendrama: Thomas Hall findet für den Vater Wotan innige Töne; Jane Dutton erweist sich dann allen stimmlichen Herausforderungen der heiklen Brünnhilde-Partie gewachsen. Schließlich ein eher weltlicher Feuerzauber. Und Georg Fritzsch schmückt mit dem hellwachen Philharmonischen Orchester auch diesen Teil des „Rings“ musikalisch prachtvoll aus.

Anders gesagt: Daniel Karasek bleibt bei seiner Linie illustrativer „Ring“-Erzählung ohne Deutungsehrgeiz, und Georg Fritzsch sorgt musikalisch wiederum für selige Lust.

Infos und Karten: www.theater-kiel.de