Die deutsch-israelische Produktion „10 Gebote“ am Kieler Schauspiel –
Die Regisseurin Dedi Baron im Gespräch
Von Christoph Munk
Kiel. Die Vormittagsprobe ist gerade zu Ende. Das Ziel, die Premiere des zweiteiligen Abends „10 Gebote“ im Kieler Schauspielhaus, rückt immer näher: eine gute Woche noch bis zum 15. April. Grund genug, langsam nervös zu werden. Doch Dedi Baron, die Regisseurin aus Israel, lächelt ziemlich entspannt. „Ich fühle mich mal ganz elend, dann wieder voller Hoffnung“, antwortet sie auf die Frage, wie es ihr in dieser Probenphase gehe. „Du weiß ja, wie das ist.“ Sie erinnert mich, den Journalisten, daran, dass wir manchmal auf der gleichen Seite gestanden haben: bei internationalen Festivals, nicht nur in der Jury, sondern beide als Regisseure. „Am schlimmsten ist es, wenn man plötzlich das Gefühl hat, dass die ganze bisherige Arbeit verloren ist. Das kennst du doch.“ Wir sprechen die gleiche Sprache. Und sie freut sich auf das Gespräch.
Wo sitzt der Ursprung für dieses Projekt „10 Gebote“? Daniel Karasek hatte die Idee. „Wir planten eine gemeinsame deutsch-israelisches Produktion. Und die Kieler Dramaturgin Kerstin Daiber brachte die Idee mit den Zehn Geboten ein.“ Ein Autor und ein Regieteam aus jedem Land, zwei thematisch verwandte Stücke, jeweils acht bis zehn Schauspieler, ein Abend, nicht viel länger als zwei Stunden. Den Kieler Beitrag schrieb Feridun Zaimoglu zusammen mit seinem Co-Autor Günter Senkel; als Regisseurin wurde Annette Pullen gefunden. Den israelischen Text für die Inszenierung von Dedi Baron übernahm der Dramatiker Shlomo Moskovitz, ihr Partner in vielen Theaterproduktionen und im Leben.
Die Zeit ging dahin. Viel Zeit. „Denn Shlomo ließ sich intensiv auf die Materie ein. Das kenne ich von ihm“, sagt Dedi Baron und denkt auch an Schreibblockaden und Geduldsproben. Er habe nicht so sehr nach der religiösen Bedeutung der Zehn Gebote als von Gott gegebenen Gesetzen geforscht. Ihn hätten vielmehr die Anwendung der dort manifestierten Grundsätze im realen Leben interessiert. Unabhängig von den möglichen Unterschieden in jüdischen oder christlichen Glaubensgrundsätzen käme es für Moskovitz darauf an, wie diese ethischen und moralischen Regeln in der Praxis des sozialen Zusammenlebens funktionierten.
Als Anknüpfungspunkt für eine konkrete Geschichte fand Moskovitz, so erläutert es Dedi Baron, eine authentische Episode aus dem letzten Libanon-Krieg: Ein israelischer Offizier weigerte sich, mit seiner Panzereinheit eine feindliche Stadt einzunehmen. Hinter dieser Befehlsverweigerung wird allmählich eine prinzipielle Antikriegshaltung erkennbar, zum Beispiel in rückblickenden Auseinandersetzungen mit der Familie des Offiziers. Doch Moskovitz, so schildert es Dedi Baron, bleibt im Stück nicht auf der einfachen realen Ebene. Denn der Autor stellt dem Protagonisten eine libanesische Eselin zur Seite, die ihn gewitzt die Maxime seines Handelns überprüfen lässt. Dafür fordert der einen Aufschub, erhofft sich einen Vorteil durch Innehalten. In der deutschen Sprache gibt es dafür den Ausdruck „Zeit gewinnen“. Das gefällt Dedi Baron spontan.
Nicht zufällig gibt der Autor seiner Hauptfigur den Namen Adam. Nicht zufällig begegnet ihm eine Eselin, denn sie gilt sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Mythologie als die Trägerin des Messias. Und im Hebräischen sei mit dem Begriff Messias auch Sprache gemeint. Sprache als Mittel der Verständigung. Immer tiefer dringt das Gespräch mit der Regisseurin in die philosophischen Bedeutungsebenen des Theatertextes ein. Da wird spürbar, wie sehr die szenische Arbeit dazu dient, in – noch andauernden – Prozessen zu einer Klarheit der Aussagen zu kommen.
Es wird noch ein paar Tage dauern, bis auf der Bühne Lösungen gefunden sind. Dedi Baron zeigt sich offen genug, einzugestehen, dass eigentlich noch nichts fertig ist. Sicherlich: vorgegeben ist eine Ordnung in zehn Episoden, die an den Geboten orientiert sind. Aber noch müssen Übergänge gefunden werden. Rückblenden müssen für den Zuschauer erkennbar werden, Wechsel der Ebenen sollen nachvollziehbar sein. Ergibt sich eine plausible Erzählstruktur? Kommt die Geschichte in ihren Fluss? Fragen, die ein erster Durchlauf beantworten kann. Hoffentlich.
„Ja, es ist viel Text, häufige Dialoge“, erkennt die Regisseurin. „Auf Deutsch wirken sie länger als auf Hebräisch.“ Aber hat nicht gerade Dedi Baron in ihren Kieler Inszenierungen bisher gezeigt, wie sehr sie über die Sprachkraft der Bilder verfügt und auf der Bühne wirksam macht? „Ja, du hast recht. Ich möchte noch viele Bilder schaffen.“ Was sie darum im Augenblick möchte? Zeit gewinnen.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
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