Unterwegs mit Hannes Hansen – Teil 2: Von Leer nach Weener

Von Hannes Hansen

Weener. Von Leer fahren Rotraud, Otto und ich nach Weener, eine Kleinstadt am linken Emsufer, die in Sachen blank gescheuerter Sauberkeit die Stadt Leer noch um Längen schlägt. Die Häuser, die Straßen und Plätze, die nach holländischem Vorbild backsteingepflasterten Bürgersteige werden, mutmaße ich, jeden Morgen von den Einwohnern mit der Zahnbürste gereinigt. Auch bei anderen Säuberungen war man in Weener mit Gusto dabei. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 1933 errangen zwei miteinander konkurrierende Nazi-Splitterparteien einen überwältigenden Wahlsieg, und schon am Tag darauf wehte am Rathaus die Hakenkreuzfahne. In der „Reichspogromnacht“ von 1938 steckten Nazis die Synagoge Brand und warfen jüdischen Geschäftsleuten die Schaufenster ein. Von den bis 1933 vollständig integrierten einhundertdreiundzwanzig Juden, die am örtlichen Vereinsleben teilnahmen und deren Vorfahren seit drei Jahrhunderten in Weener lebten und arbeiteten, gab es schon bald keine Spur mehr. 1942 konnte stolz nach oben gemeldet werden: „Weener ist judenfrei.“

Blank geputzt wie die Ems – der Hafen des ostfriesischen Kleinstädtchens Weener. (Fotos: Hanes Hansen)

Blank geputzt wie die Ems – der Hafen des ostfriesischen Kleinstädtchens Weener. (Fotos: Hanes Hansen)

Viele Juden waren ausgewandert, mindestens achtundvierzig Männer, Frauen und Kinder wurden ermordet. Ob sie vorher noch die Straßen, wie in Wien und wohl auch noch anderen Orten geschehen, mit Zahnbürsten säubern mussten, ist nicht zu erfahren. Die Dame in der Tourist-Information führt anscheinend den Namen Hase, sie weiß von nichts. Immerhin steht dort, wo in der Pogromnacht von 1938 die Synagoge niedergebrannt wurde, eine Menora, ein siebenarmiger jüdischer Ritualleuchter. Auch die beiden jüdischen Friedhöfe mit ihren Grabsteinen aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert sehen gepflegt aus. Nach den Verwüstungen durch Nazis haben sich nach 1945 die Stadt, die Landschaft, Vereine und Privatleute um ihre würdige Instandsetzung gekümmert. Warum allerdings 1950 noch dreiundneunzig Grabsteine erhalten waren, 1998 aber nur noch einundsiebzig, weiß sich auch David Isacson nicht zu erklären, der hier vergeblich das Grab seines Großvaters sucht und dessen Eltern den braunen Mordbanden noch rechtzeitig entkamen.

Der jüdische Friedhof in Weener.

Der jüdische Friedhof in Weener.

„Bi uns Juden warrt so’n Graff jo nich platt maakt“, sagt der Mann aus Los Angeles, der in ganz Ostfriesland nach den Spuren seiner Vorfahren sucht. „Man veel is doarvun nich mehr to finnen“, sagt er in einem amerikanisch eingefärbten Platt. „Dat hebb ik vun min Vadder lehrt“, erklärt er auf meinen erstaunten Blick hin. „Hochdüütsch kunn he goar nich oder wull dat nich bruken. Min Muddder hett keen Wort Düütsch mehr praat, siet se in Amerika weer.“

Denkmal für die „Torfwieven“ am Hafen in Weener.

Denkmal für die „Torfwieven“ am Hafen in Weener.

Seltsam auch, dass man sich erst 1980 dazu bequemt hat, auf dem 1927 errichteten Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs vor dem Heimatmuseum, das ansonsten allerlei Germanisches und Denkwürdiges aus dem Leben der ostfriesischen Altvorderen zeigt, auch an die ermordeten jüdischen Mitbürger zu erinnern. Für die Gefallenen des Frankreichkriegs von 1870/71 und des Zweiten Weltkriegs dagegen fand sich schon 1959 ein Platz auf den Gedenktafeln.

Heute, sagt Aref, der pakistanische Besitzer des Restaurants am schnuckeligen Hafen, gebe es in Weener keine Fremdenfeindlichkeit mehr. Wir glauben dem sehr gut Deutsch sprechenden Mann, der einst als Maschinenbaustudent nach Deutschland kam und nach Heirat und der Geburt seines Sohns auf Koch, den Beruf seines Vaters, umsattelte.

Satt und zufrieden begeben wir uns zur Ruhe, Rotraud und Otto in einer Pension, die ihnen Aref empfohlen hat, ich in meinem Wohnmobil auf einem Stellplatz am Hafen.

Am nächsten Morgen, als ich gerade an der Hafenkante beim Frühstück sitze, kommen Rotraud und Otto herbeigeschlendert, und verabschieden sich von mir. Sie müssen und wollen zurück nach Berlin, wo Rotraud einen Kleinverlag und eine Textagentur betreibt und Otto sich bemüht, grüne Ideen seinen Studenten der Agrarwissenschaft nahe zu bringen.

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