Abschluss der Kieler Tage für Neue Musik mit chiffren Ensemble und Studio Musikfabrik
Von Jörg Meyer
Kiel. Von der „Antiquiertheit der Neuen Musik“ sprach der Musikwissenschaftler und Philosoph Christian Grüny provokant am Freitag in seinem Vortrag zur Situation der Neuen Musik (im kritischen Anschluss an Theodor W. Adornos Vortrag „Das Altern der Neuen Musik“ von 1955). Die Neue Musik läutete in den 1950er Jahren in bewusst scharfer Abgrenzung zum Früheren eine neue Zeit ein, konnte jedoch ihre vielfältigen Wurzeln in der Musikgeschichte nie leugnen. Solche Bezüge des Neuen zum Alten durchzogen nicht nur den Klavierabend von Florian Hoelscher (mit Werken von Marco Stroppa, Bernhard Lang und Alberto Posadas), sondern setzten sich im gestrigen Abschlusskonzert „Junge Musik“ mit chiffren Ensemble und Studio Musikfabrik fort.
Das Neue der Neuen Musik lag auch hier gerade im Bezug auf das Alte und den innovativen Umgang mit ihm. Etwa bei Pelle Gudmundsen-Holmgreen, der in „OG“, komponiert zum 200. Geburtstag von Søren Kierkegaard, mehrfach Mozarts „Don Giovanni“ zitiert, freilich nicht eins zu eins, sondern aus der Vergangenheit in heutige Klangsphären geradezu katapultiert. Das hat etwas Respektloses, das gleichwohl dem Alten Respekt zollt, indem es als immer wieder neu bearbeitbares Material eben nicht aufs „Altenteil“ der Klassik verbannt wird.

Das Studio Musikfabrik als eines der Ensembles in Ronnefeld/Harneits „Christ ist erstanden“. (Foto: ögyr)
Die alte Musik ersteht in der neuen wieder auf, ganz buchstäblich in Matthias Ronnefelds Orgelwerk „Christ ist erstanden“, das der Leiter des chiffren Ensembles, Johannes Harneit, erneut für Orchester bearbeitet hat, diesmal in einer Fassung für zwei Ensembles, die räumlich von einander getrennt, das Publikum zwischen ihnen, den alten Choral in sinfonischer Dimension neu formulieren – ergänzt um drei Improvisationen, die zuweilen rein pantomimisch die Musik aus der Taufe der Stille heben. Statt Grablegung also Auferstehung des Alten im Neuen.
Nicht anders in Salvatore Sciarrinos „Quattro Intermezzi“ aus der Kammeroper „Luci mie traditrici“, wo Sciarrino eine barocke Elegie („Qu’est devenue ce bel œuil“ von Claude Le Jeune) zunächst notengetreu zitiert, um sie in den folgenden drei Variationen mehr und mehr zu dekonstruieren, sprich auf ihren eigentlichen, im Hauch der Flageoletts aufscheinenden Kern zu reduzieren. Ein faszinierendes Klangerlebnis, das nahelegt, dass die Unterscheidung zwischen Jung und Alt längst obsolet und Musik vielleicht so etwas wie überzeitlich, um nicht zu sagen ewig ist.
Infos: www.chiffren.de
aus: Salvatore Sciarrino: „Quattro Intermezzi“ (Bootleg vom Konzert, jm)
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