Unterwegs mit Hannes Hansen – Teil 11: Angekommen in Paris und Poesie

Von Hannes Hansen

Paris.

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
Sich eine kleine Weile der Bestand
Von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
Ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
Und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Das Karussell, das Rilke bedichtete, heute ... (Foto: hah)

Wirklicher als die Wirklichkeit – das Karussell, das Rilke bedichtete, heute … (Foto: hah)

Es hat angefangen zu regnen. Es ist dieser anfangs kaum merkliche, sanfte, die Haut streichelnde Pariser Mairegen, der die Farben im Jardin du Luxembourg dämpft. Von den blühenden Kastanienbäumen tropft es auf die schützende Plane über dem Dach von Rilkes Karussell. Noch steht es still. Die Tiere schlafen, der in eintönigem Rhythmus fallende Regen hat sie müde gemacht. Sie warten darauf, dass Kinder sie aufwecken. Der Hirsch träumt von seinem kleinen blauen Mädchen, ein Dromedar blickt hochmütig in die Weite der verwaschenen Frühlingsfarben des Parks. Und dann und wann ein weißer Elefant.

Der Elefant trägt kein unschuldiges Weiß. Grün ist er angestrichen, so grün wie die Löwenzahnblätter, die sich durch den Kies der Parkwege kämpfen. Die Farbe ist im Laufe der Jahrzehnte stumpf geworden und blättert ab von dem kleinen, traurigen Elefanten. Und kein böser rote Löwe zeigt Zähne und Zunge. Er ist dem Karussell seit Rilkes Zeiten abhanden gekommen. Oder hat der Dichter ihn erfunden? Erinnern er und der weiße Elefant uns daran, dass die Poesie wirklicher ist als die Wirklichkeit?

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
Fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
Schauen sie auf, irgendwohin, herüber –

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Aber die Pferde … Ganz wie im Gedicht setzen sie an zum Sprung und tragen die Mädchen aus der Kindheit hinüber in die verschatteten Ängste der Jugend. Ungeduldig warten sie, jetzt wo sich die Türen des benachbarten Kasperletheaters „Guignol“ öffnen und die Kinder lärmend herbeigestürmt kommen, dass das Karussell sich in Bewegung setzt, erst langsam dann immer schneller zu kreisen anfängt und das Lebensspiel beginnt:

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines, kaum begonnenes Profil –.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel …

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