Unterwegs mit Hannes Hansen – Teil 12:
Die Buchhandlung „Shakespeare und Company“ in Paris
Von Hannes Hansen
Paris. Eine kleine englische Sprachinsel mitten in Paris ist der winzige Platz in der Rue de la Bûcherie am linken Seine-Ufer, schräg gegenüber und in Sichtweite von Notre Dame. Ein lauschiger und gleichzeitig quirliger Ort. Studenten und ältere Literaturliebhaber begrüßen sich, wühlen in Bücherkisten und zeigen einander ihre Schnäppchen, auf Bänken hocken Menschen, in die Lektüre vergilbter Schriften vertieft.
Das englische Stimmengewirr setzt sich fort in den beiden aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Häusern am Rande des Platzes, die eine Buchhandlung beherbergen. Aber was für eine Buchhandlung. Leihbücherei, modernes und klassisches Antiquariat zugleich ist „Shakespeare and Company“. Neuerschei-nungen, zumeist englischsprachige, gibt es natürlich auch zu kaufen. Wenn man sie denn finden kann in den laby-rinthischen Häusern, in deren Räumen, auf Stiegen und Treppen sich an die 100.000 Bücher stapeln. Dazwischen stehen Betten. In ihnen dürfen mittellose Schriftsteller oder die, die sich als solche ausgeben, schlafen, wenn sie am Tag ein bisschen in der Buchhandlung aushelfen. Aber meist lesen sie in Ecken und Winkeln, und niemand stört sie bei ihrer Lektüre.
Einmal in der Woche, jeden Montag, veranstaltet Sylvia Beach Whitman, die heutige Besitzerin der Buchhandlung, Lesungen mit durchreisenden Autoren aus englisch-sprachigen Ländern. Jeder, der ein Buch veröffentlicht hat oder ein Manuskript mit sich herumträgt, darf mitmachen.
Diese Regeln legte Mrs. Whitmans Vater George Whitman fest. Der im Jahre 2011 im Alter von achtundneunzig Jahren verstorbene Amerikaner, von dem es gerüchteweise hieß, er sei der Urenkel des Dichters Walt Whitman – er selbst schwieg mit seinem Augurenlächeln dazu – war ein Bücher- und Menschenfreund und überzeugter Sozialist. 1946 schlug der ehemalige Marinesoldat nach einem Intermezzo als Buchhändler in Boston und einer einige Monate dauernden Zeit als Globetrotter, die ihn zu Fuß bis nach Mexiko gebracht hatte, sein Domizil in Paris auf. Die „GI Bill“ für Kriegsteilnehmer wie ihn verschaffte ihm ein Stipendium, und er studierte an der Sorbonne. In jenen Jahren kam ihm auch die Idee einer englischsprachigen Leihbücherei. „Alle meine englischen und amerikanischen Freunde kamen ständig zu mir und liehen sich Bücher“, erinnerte er sich, als ich ihn vor Jahren interviewte. „In meiner Studentenbude ging es zu wie in einem Taubenschlag. Da konnte ich auch gleich eine Leihbücherei aufmachen. Ich wusste sowieso nicht mehr, wohin mit all den Büchern, die ich für wenig Geld in Paris kaufte. Die Franzosen interessierten sich ja nicht für englischsprachige Literatur.“
Eine kleine Erbschaft half beim Anfang. Für 500 Dollar kaufte George Whitman 1951 das erste der beiden Häuser, in denen „Shakespeare and Company“ sich im Laufe eines halben Jahrhunderts amöbenhaft ausgebreitet hat. Das andere kam später, auch zum Schnäppchenpreis, hinzu. Heute, schätzt George Whitmans Tochter, ist der Komplex in bester Lage wohl 5 Millionen Dollar wert. „Aber“, sagt sie, „ich verkaufe nicht.“ Das sei sie ihrem Vater schuldig.
„Le Mistral“ hieß die Buchhandlung anfangs. In den sechziger Jahren beschloss George Whitman, sie umzubenennen in „Shakespeare and Company“. Ein legendärer Name im Paris der zwanziger und dreißiger Jahre. Die nicht weniger legendäre Sylvia Beach hatte die angloamerikanische Leihbücherei 1919 gegründet, ein paar hundert Meter vom jetzigen Standpunkt entfernt, in der Rue de L’Odéon, wo heute nur noch eine Plakette an der Hauswand an sie erinnert. Kurz vorher war die Tochter eines presbyterianischen Predigers aus den puritanischen USA in das freiere Klima von Paris geflüchtet, wo sie keinerlei Ächtung wegen ihrer sexuellen Orientierung befürchten musste. Ihre Freundin und Lebensgefährtin Adrienne Monnier betrieb in der Rue de L’Odéon die Buchhandlung und Leihbücherei „La Maison des Amis des Livres“. Die stämmige Bauerntochter verehrte Schriftsteller, und die ließen sich von ihr gern hofieren und zu literarischen Soireen einladen. Mit „Shakespeare and Company“ schräg gegenüber Adrienne Monniers Laden schuf Sylvia Beach das angloamerikanische Pendant zu der Buchhandlung ihrer Freundin. Schnell wurde die Leihbücherei zum Treffpunkt englischer und amerikanischer Schriftsteller. Hemingway und Scott Fitzgerald, Dos Passos, Ezra Pound, T. S. Eliot und andere literarische Größen gingen bei Sylvia Beach ein und aus. „Shakespeare and Company“ war für sie, wie ihre Biographin Noel R. Fitch schreibt, „Treffpunkt, Klubhaus, Post, Bank und Lesesaal“. Auch Franzosen wie Paul Valéry und André Gide kamen und wechselten von Adrienne Monniers Haus der Bücherfreunde hinüber und zurück.
Ihren Platz in der Literaturgeschichte sicherte sich Sylvia Beach 1922, als sie James Joyces Jahrhundertroman „Ulysses“ auf eigene Kosten heraus-brachte. In Paris, denn in den USA und in Großbritannien hatten die großen Verlagshäuser die Veröffentlichung abgelehnt. Sie fürchteten die Zensur, „Ulysses“ galt als pornographisch. Der Druck des Romans erwies sich als Herkulesarbeit für Sylvia Beach und die bis zu 26 französischen Setzer, die kein Englisch sprachen, zumal James Joyce, der von seiner Umgebung bedingungslose Unterordnung unter sein Genie forderte, ständig Änderungswünsche hatte. Kein Wunder, dass das fertig gedruckte Buch, wie die stolze und uneigennützige Verlegerin schätzte, zwischen einem und sechs Satzfehler pro Seite aufwies.
1942 musste „Shakespeare and Company“ schließen. Für immer, wie es schien. Ein deutscher Offizier, dem sie das letzte Exemplar, ihr eigenes, von Joyce’s „Finnegan’s Wake“ verweigert hatte, drohte Sylvia Beach mit der Beschlagnahmung ihrer Bücher. In aller Eile schaffte sie sie in ein sicheres Versteck. Sie selbst musste noch sechs Monate in einem Internierungslager der Vichy-Regierung verbringen. Nach dem Krieg fehlte ihr die Kraft weiterzumachen.
George Whitman, der Sylvia Beach noch kannte, verehrte die selbstlose Freundin der Schriftsteller. So sehr, dass er nach ihrem Tod – sie starb 1962 – den Namen ihrer Buchhandlung adoptierte. „Ich glaube“, sagte er bei meinem Besuch, „sie würde sich darüber freuen. Sie hat immer gesagt, sie fände es schön, dass ich eine Buchhandlung, wie ihre eine war, führe. ‚Shakespeare and Company’, was für ein wundervoller Name. Vier Worte – ein ganzer Roman. Aus Respekt vor Sylvias Lebensleistung habe ich den Namen erst spät übernommen, als ich selbst schon etwas geschaffen hatte.“ Das alte Ladenschild aus der Rue de L’Odéon mit dem Konterfei des Barden vom Avon ziert jetzt „Shakespeare and Company“. Und dass George Whitman seine Tochter nach Sylvia Beach nannte, war für ihn selbstverständlich. Für sie sei der Name eine Verpflichtung, sagt sie.
Vielleicht freut Sylvia Beach sich ja oben im Bücherhimmel, dass unter dem Management ihrer Namensträgerin ihr „Shakespeare and Company“ weiterlebt.
14. Juni 2016 um 5:29
… einer meiner literarischen helden, hier von dir beschrieben seine „hebammen” …: „ja, ich will, ja!“, sagt molly bloom am ende des tausendseitenromans. und so ich seit bald hundert (bei mir erst 25, seit ich wollschlägers kongeniale (von arno schmidt für gut befundene) übersetzung und joyce’s original parallel las) jahren (natürlich auch dieter h. stündels übersetzungsversuch des „wake“ zumindest in auszügen gelesen) …
19. Juni 2016 um 15:17
ja ja, der schämes scheuss: „And he went worth and met Butterly.“ Wollschläger erkennt, dass es sich um die Parodie der King James Bible (Authorized Version) vom Verrat des Petrus handelt („And he went forth and wept bitterly“, Luther: „Und er ging hinaus und weinte bitterlich“) und übersetzt genial: „Und er ging hinaus und weinte Buttermilch.“ Wer so was kann, kann mehr als Brot essen.