Zum Auftakt der Kieler Woche: Flanieren zwischen Musik und Bieren
Kiel. Die Stadt hat ihre Kieler Woche herbeigesehnt. Kein Zweifel: Die Leute haben’s eilig. Kaum einer hat Geduld, bis zur offiziellen Eröffnung zu warten. Wenn Sigmar Gabriel kommt, läuft schon alles. Freitagabend. Die Innenstadt ist voll, alle Buden geöffnet, alle Verstärker auf laut gepegelt. Nur der Zug mit den Gästen aus Berlin hat Verspätung – paar Stunden voraussichtlich. Zeit also für einer ersten, vom Zufall bestimmten Bummel, zugegeben durch mein bekanntes Revier.
Das rhythmische Kreischen, das leicht verzerrte Wummern jammert schon durch die Holstenstraße. Um die Ecke, auf dem Asmus-Bremer-Platz, lärmt die Cover-Band „Das Fiasko“. Der Name verpflichtet: „Er gehört zu mir…“ Wie im Original quäkt Marianne Rosenbergs Quietschen ins musikalische Gedächtnis. Damals dachte ich immer, sie hat die Hand in der Autotür. Welches Jahrzehnt war das noch? Seltsamer noch: Der Mann mit dem Besen an der Gitarre quetscht die Stimme wie ein besoffener Clown: „Über den Wolken muss die Freiheit …“ Reinhard Meys ernst gemeintes, gefühliges Lied grell von der Pritsche runter, Hauptsache tanzbar. Ein Trupp von Mädels in einheitlichem rosa T-Shirt-Look macht eine beseelte Choreografie daraus, vermutlich Junggesellinnen-Abschied – pardon: Bachelorette Party. Paar Kerle trapsen dazwischen. Bloß weg hier.
In der Holländer Straße ebbt das langsam ab. In der musikalischen Ebbe steht ein silbern angemalter Mann, einer von diesen lebenden Denkmal-Posierern. Trägt Brille und ein dickes Buch unterm Arm, hat also was mit Kultur im Sinn, sagt aber nichts. Schnell schwappen neue Klangwellewellen ins Ohr. Hammerhartes Schlagzeug, pulsierender Bass. Auf der Rathausbühne macht „Crime Circle“ aus Südafrika richtig Druck: Der Drummer bearbeitet nicht nur sein, sondern auch mein Trommelfell, der Bassmann haut mir in die Knochen. Instinktive Fluchtbewegung nach weiter hinten, ins Innere des Internationalen Marktes.
Stimmt die vertraute Geografie der Buden noch? Nicht ganz: Die Türkei ist zurück, an den Rand gequetscht, da wo früher mal Schweden lag. Und sie haben kein kühles Efes-Bier vom Fass, bedauert B. Die Österreicher spinnen: 3,70 Euro für einen Seidl, also 0,3 Stigl-Pils. Da können auf der anderen Seite des Platzes nur die Iren mithalten: 4,70 Euro gehen für ein Glas Guinness über den Tresen. Ok, wenn’s für ein Pint ist. Denkste: für kläglich unübliche 0,4 l. Am Tallinn-Stand hält man mit 3 Euro für ein Saku den bewährten Preis. Tschechien unterbietet ihn, wie in jedem Jahr: ein Pardal, 2 Euro. Italien hat auf 3,50 Euro erhöht, verweigert aber die wunderschönen Pironi-Gläser: „3,50 Euro zahle ich für ein Glas im Einkauf und für 1 Euro Pfand nehmen die Leute die gern mit“, sagt der Betreiber. „Auf Dauer kann ich mir das nicht leisten.“ Kann man bedauern, aber auch verstehen.
Noch immer „Prime Circle“ im Ohr, in der Tiefe des Platzes sehr erträglich. Man redet schließlich gern mit den alten Bekannten, die man jahrelang nicht gesehen hat. Auch am irischen Stand, wo der Musiker gerade Pause macht, bevor er in die nächste der 10-Tage-Runde irischer Pub-Songs einsteigt. Von „High-Noon“ bis „After Midnight“ spielt da immer einer und immer das gleiche – gefühlt. Rüber zum Salsa im Hoftheater reicht es leider nicht. Zu lange der spontane Biertest, zu viele Leute getroffen. Kieler Woche eben. Und demnächst kommen dann auch die Gäste aus Berlin an. Knapp vier Stunden zu spät, aber dafür direkt mit der RB aus Neumünster. 0.07 Uhr ist er da, pünktlich. Und pünktlich fuhr auch der letzte KVG-Bus ab: 0.05 Uhr. Blöd geplant, denkt der Kieler. „Gezielt verpasst“, sagt der Berliner dazu.
19. Juni 2016 um 13:06
Haben uns köstlich amüsiert, so als wären wir dabei gewesen. Bis bald MuG
19. Juni 2016 um 15:01
Klasse. Ich weiß schon, warum ich vor der Kieler Woche flüchte. Du lieferst mir noch mehr Gründe als ich brauche.
Hannes