Die Kieler Woche geht weiter: Wieder Flanieren zwischen Musik und Bieren
Von Christoph Munk
Kiel. Die amerikanischen Boys haben’s einfach drauf. Die stehen auf der Rathausbühne in ihren Uniformen stramm, spielen aber eine Musik außer Rand und Band: Ja, die US Navy Band zischt einen höchst geschniegelten Swing in die Mittagsluft, pulsierend und gestochen scharf.
Dabei habe ich noch den federnd leichten, mediterran duftenden Klang im Ohr, mit dem am Abend zuvor im Kieler-Woche-Hoftheater „Mousse au Jazz“ die eingeschworene Gemeinde in der lauschigen Nische des Hiroshima-Parks entzückte. Man trinkt dort statt Bier eher Wein in gemessenen Portionen, sitzt auf feinen Stühlchen, bequem auf den Bänken oder steht wippend, weil man sich einfach von Zauber der leisen, delikaten Musik gefangen nehmen lässt. Wundersam abgekoppelt fühle ich mich dort von den aggressiven Sound-Gewittern auf der anderen Straßenseite.
Und auch am Tallinn-Stand, wo man sich bloß ein paar Gläser Saku gönnen muss, um Hans und Franz im lockeren Gang vorbei flanieren zu sehen, gibt es so eine verwunschene stille Ecke, wo es dem seit Jahren vertrauten Duo aus Estlands Hauptstadt gelingt, sich gegen alle Lärmattacken zu behaupten. Tiit Born kann mit seinem Banjo mit ansteckenden Rhythmen kräftig loslegen, ist aber ansonsten ein schön zurückhaltender Begleiter der Sängerin Ivi Rausi, die eine bewundernswert flexible Stimme für ihr breit gefächertes Repertoire internationaler Pop-Songs, Folklore und Evergreens offenbart.
Wie immer irgendwie verabredet schlendert mein alter Freund Bruno G. heran. Heute hat er seinen Zeichenblock dabei, um mit schneller Hand Personen und Passanten aufs Papier zu bringen. Ein paar Takte, ein paar Striche – und schon hat er Ivi und Tiit skizziert, flüchtig, aber treffend. Und irgendwann wird Ivi für uns „Bei mir biste scheen“ singen. Denn wir bitten so inständig freundlich und denken, „es muss doch feste Bräuche geben“.
Die Kieler Woche hat ja so ihre Gewohnheiten, und das ist ganz gut so. Denn der Flaneur weiß dann schon, in welches Revier er seine Schritte lenkt. Schilksee? Hochgelobt, aber für uns Innenstädter weit, weit weg und rar an Parkplätzen. Die Hörn? Eher was für Jahrmarkt-Fans. Holstenstraße, Alter Markt? Das Übliche an kulinarischer Versorgung. Schlossgarten? In diesem Jahr ganz attraktiv, weil man sich mit dem City-Skyliner langsam in bis zu 70 m Höhe zu spektakulären Rundblicken schrauben lassen kann. Kiellinie? Na klar. Nachmittags finden zwischen Buden und Bayernzelt Kleinkünstler ihr Publikum.
Jens Ohle aus Hamburg zum Beispiel. Seine Kunst heißt laut Programm „Zirkusstunts & Comedy“. Also jongliert er mit Keulen, Fackeln und Messern, hat coole Sprüche, Witz und einen feinen Draht zum Publikum und könnte darum außer Beifall reichlich kassieren. Er will aber kein Geld, sagt er: „Ich bin ja schon bezahlt. Von der Stadt, glaub’ ich.“ Vorher auf dem Rathausplatz hat das „DJuggledy“ nach seinen rasanten Diabolo-Nummern ganz anders probiert. Er berlinert viel von Geld, begehrt eher Scheine als Münzen. Dass sich das am Ende bezahlt macht, glaub’ ich kaum.
Weiter auf der Kiellinie. Am späten Nachmittag sind die kleinen Holzbuden an der Wasserkante, „Kiel Artist“ genannt, eher verwaist und dienen im Nieselregen als Unterschlupf. Nördlich von der Reventloubrücke sind auf der Suche nach Live-Musik nur noch ein einzelne Song-Singer mit Gitarre zu finden. Dort ist man kulturlos glücklich. Auf der „Bundesländer-Meile“ locken stattdessen geordnet regionalspezifische Spezialitäten. Etwa „echte Berliner Curry-Wurst“. Und tatsächlich gibt es sie dort auch „ohne Darm“, mit Soße scharf, ganz scharf oder weniger scharf. Nebenan gewährt mir das Piraten-Nest vor dem Regen Asyl. Und für den Becher Bier, nullkommavier, verlangen sie nur 3 Euro. An Land werden Seeräuber zu Kumpeln.
Abends: Keine Chance gegen den Regen. Ist das die trübe Stimmung, die der Blues braucht? Nein. Georg Schroeter, Marc Breitfelder, Abi Wallenstein und die anderen Blues-Heroes hätten bei aller Melancholie einen heiteren Abend verdient. Aber als ob sie Kummer gewöhnt sind, trotzen sie Nässe und Kälte und mit ihnen ihre Fan-Gemeinde unter Regenschirmen und Vordächern. So spielen sie unentwegt gegen das Wetter an und lang in die 5. Kieler-Woche-Blues-Nacht hinein. Wie gut, das Piano, Bluesharp und Gitarren weit über Mauern und Dächer hinweg angenehm in meine späten Stunden dringen.
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