Unterwegs mit Hannes Hansen – Teil 13: In Paris

Von Hannes Hansen

Paris.

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
So müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
Und hinter tausend Stäben keine Welt.

Ruhelos durchmisst das Tier sein Gefängnis. Sein Blick geht über die Menschen hinweg in eine Ferne, in die ihm niemand zu folgen vermag. Der Leopard im Jardin des Plantes sieht die Besucher nicht, den Kinderlärm vor den Glasscheiben seines Käfigs hört er nicht.

Der Jardin des Plantes (Fotos: hah)

Der Jardin des Plantes (Fotos: hah)

Seit 1794 existiert der Zoo in Frankreichs ältestem Botanischen Garten. Die Königliche Menagerie wurde vom Revolutionstribunal nach der Enthauptung Ludwigs XVI aufgelöst und die Tiere der renommierten Forschungseinrichtung übergeben. Als Rainer Maria Rilke in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Paris lebte und arbeitete, besuchte er häufig die weitläufigen barocken Anlagen der grünen Insel an der Seine im traditionsgesättigten fünften Arrondissement. Ließ sich treiben durch die Gartenanlagen mit den geometrischen Blumenbeeten, beobachtete die über eintausend Tiere in der abseits der Hauptachse des Parks gelegenen Menagerie. Die Flamingos, „blühend, wie in einem Beet“, fesselten ebenso seinen Blick wie der Panther in seinem Käfig, ein Vorgänger des heutigen Tiers, der ihm zum Symbol der Verlorenheit und Unbehaustheit wurde.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz voll Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Ein Nachkomme von Rilkes Panther, ähnlich ruhelos ...

Ein Nachkomme von Rilkes Panther, ähnlich ruhelos … Foto: hah

Hin und her, her und hin, von links nach rechts, von vorn nach hinten und wieder zurück treibt es den Panther durch seine Welt, die einzige, die er kennt, denn hier wurde er geboren, hier wird er sterben. Ahnt er, dass es noch eine andere Welt gibt, die Savannen Afrikas, den Dschungel Asiens? Hat er, das Tier, von dessen Seele wir nichts ahnen, ein Bild von dem, was es vermisst? Spricht der Dichter überhaupt von ihm, wenn er sagt:

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

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