Anne Clark und das Kieler Duo No More wave- und raveten auf der Freilichtbühne Krusenkoppel
Von Jörg Meyer
Kiel. Sie ist eine Ikone der elektronischen Musik und des Dark Wave der 1980er Jahre und derzeit zusammen mit ihrem Duo-Partner herrB auf Abschiedstour. Auf der Freilichtbühne Krusenkoppel war von Abschied allerdings nichts zu spüren, vielmehr ließ Anne Clark den Aufbruch der Post-Punk-Ära ebenso weltschmerzend wie tanzbar wiederaufleben.
Ein bisschen nach Revival längst vergangener Zeiten sieht es aus, blickt man ins Rund der rund 1500 etwas angejahrten, aber immer noch ins szenige Schwarz des Weltschmerzes gewandeten Fans. Das Kieler Elektro-Duo No More macht als Clarks Support allerdings gleich zu Beginn deutlich, wie frisch wavige „Silence And Revolt“, so der Titel ihres jüngsten Albums, heute noch schäumen können – und das auf einer Kieler-Woche-Bühne, auf der Andy Schwarz und Tina Sanudakura zuletzt in ihrem Gründungsjahr 1979 spielten, wie sich Andy lakonisch erinnert. Jaja, der Prophet im eigenen Land … gilt hier dennoch etwas, denn „when nothing matters, all is well“, alles ist gut, wenn es nicht (mehr) darauf ankommt. Entsprechend fern aller Rockstar-Allüren greift Andy als schwarzer Prinz in die Saiten und spricht mehr, als dass er singt, ins Mikro, während Tina zu den knarrenden Elektro-Beats das Theremin wimmern lässt. Unter dem Weltschmerz des „Suicide Commando“, welcher Hit No More einst international bekannt machte und dessen Losung einer Generation X Andy mitten im Publikum skandiert, lauert ein Vulkan, auf dem man tanzen muss.
Noch folgen dieser subkutanen Botschaft nur wenige. Aber das ändert sich, wenn Anne Clark hinter der Leinwand hervortritt, über die geschredderte Videos und Piktogramme zucken. Der Opener „Orange Suns“ mit seinen „tiny electronic words“ von Shakespearescher Dimension bleibt noch auf Distanz zum Tanz, als müsste sich Anne erst im Wetterleuchten des Wave wiederfinden – oder beim seligen Bowie und seinen kongenial „trance-zendierten“ „Heroes“, Pflichtprogramm aller Waver. Auch die Clark-Klassiker „Our Darkness“ und „Sleepers In Metropolis“ huldigen noch der Verlorenheit im Sein, bevor herrB’s Synthies und Sampler von ambienten Soundscapes zum harten Sägezahn-Bass des Rave wechseln.
Immer härter werden die Beats, selbst in Clarks „Psalm“, wo sie all den Göttern und ihren zweifelhaften Heilsversprechen abschwört, denn wer sich auf Rave-Vulkane begibt, muss sie betanzen. Der Weltschmerz weicht, und der Raum vor der Bühne wird zum Dancefloor. Wer dort keinen Platz mehr findet, tanzt auf den Rängen, wiegt sich zumindest in den magischen Beats und Clarks epischen Poemen.
Nach fast zwei Stunden solchen Brodelns möchten sich Anne Clark und herrB verabschieden. Doch der Vulkan, den sie entzündeten, lässt sich nicht so schnell löschen – fünf Zugaben fordert das frenetisch begeisterte Publikum und lässt die beiden auch danach nur widerwillig gehen.
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