Unterwegs mit Hannes Hansen – Teil 16: In der Auvergne
Von Hannes Hansen
Bour-Argental. Und plötzlich ist der Regen wieder da. Ein kalter Regen, der den Weg zur Toilette an der Anlegestelle am Kanal Digoin à Roanne ungemütlich macht. Fröstelnd komme ich zurück, packe meine Sachen und mache mich auf den Weg nach Süden, wo, glaubt man dem Wetterbericht, man besser dran ist. Das Brionnais scheint verwandelt. Lag es gestern unter der Sonne des Südens, dem Abglanz der Antike und ihrer Wiederauferstehung, so erscheint es mir heute als eine langweilige, graue, von Regenschauern gepeitschte Landschaft.
Beim Übergang von der Bourgogne in die Auvergne, ins Massif Central, dem Land der Berge und erloschenen Vulkane, der verlassenen Dörfer und sich an die Berghänge klammernden Städtchen aus der Moderne von vorgestern, werden die Berge steiler, die Wälder dunkler und die Straße kurvenreicher,
Ich hatte den Fehler gemacht, auf eine Fahrt auf der Autobahn zu verzichten und statt dessen den verschiedenen Routes Nationales und Départmentales zu folgen, in der Hoffnung, durch unberührte Landschaften zu fahren. Am Ufer eines Flüsschens, das sich hurtig über Felsen und Steine bergab stürzte, so hatte ich es mir ausgemalt, kurz in einer Idylle des achtzehnten Jahrhunderts, würde ich mein frugales Mahl aus Brot und Käse einnehmen, alles mit dem köstlichen kalten Wasser des Flüsschens hinunterspülen und mir die Sonne, die ich mir trotz des andauernden Regens herbei imaginierte, ins Gesicht scheinen lassen.
Doch es kommt anders. Auf dem Weg in die Fußballfreunden bekannte Industriestadt St. Étienne begleitet die Straße eine nicht enden wollende Abfolge von Fabriken, Möbellagern, Einkaufszentren, Autohandlungen, Reparaturwerkstätten für alles und jedes, von McDonalds und Burger Kings, von Einkaufsketten und Supermarkets der Marken Intermarché, Carrefour und Utile. Das Einzige, das meine Stimmung hebt, ist ein Werbeplakat am Straßenrand, das die frohe Botschaft Les Créateurs des Fruits über einen Monsieur Dupont verkündet, auf Deutsch der „Schöpfer der Früchte“. Bis daher hatte ich angenommen, der liebe Gott könne das für sich beanspruchen, nun muss ich lernen, dass ihm französische Bauern zuvorgekommen sind.
Irgendwann komme ich in Bourg-Argental an, einem netten nicht weiter bemerkenswerten Ort im Département Rhône-Alpes am Rande der Auvergne. Auf dem Campingplatz setze ich mich zu einer Runde fröhlicher Zecher, die mich mit großem Hallo begrüßt. Einer von ihnen fragt mich auf Deutsch: „Willst Du mit mir schlafen?“ Meine Antwort: „Ich fühle mich sehr geehrt, aber non, merci“, trifft auf allgemeine Zustimmung, und ich bin aufgenommen in die Runde der Zecher. Philippe, der mir die ominöse Frage gestellt hat, ist ein muskulöser Mann von etwa sechzig Jahren mit militärisch kurzem Haarschnitt, einer markanten Hakennase und einem noch markanteren Schmerbauch. Er radebrecht weiter in einem Stammeldeutsch, das er als Soldat in Trier gelernt hat, und schwärmt von seiner Zeit bei den dortigen französischen Truppen. Der Moselwein, also nichts gegen Frankreich und seine Weine, aber in Deutschland, „mein lieber Scholli“. Stolz auf seine Kenntnis deutscher Redensarten blickt er mich an, und ich zolle ihm den gebührenden Beifall.
Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, deutet ein etwa vierzigjähriger fröhlicher Mann im Ringelhemd und mit Ohrringen auf ein neben ihm sitzendes Mädchen, das ganz offensichtlich mit wippendem Pferdeschwanz, aufknospenden Brüsten unter einem T-Shirt mit dem Bild Mick Jaggers’ und ebenso scheuen wie neugierigen Augen aus jenem Land zwischen Kindheit und Jugend stammt, das lange zögert, eh es untergeht. „Meine Tochter. Sie kann Deutsch“, sagt der mit den Ohrringen, „das lernt sie in der Schule“. Und dann: „Sag was auf Deutsch zu Monsieur!“
Natürlich weigert sich die Kleine, und ich nehme sie in Schutz: „Lass sie, sie ist schüchtern.“ Sie sieht mich dankbar an und verrät mir flüsternd ihren Namen: Alison. Aber jetzt will auch der stolze Vater zeigen, dass er zumindest einiger Worte des Idioms der östlichen Nachbar mächtig ist, und sagt auf Deutsch: „Ich heiße Thierry“. Leider nur kann er wie die meisten Franzosen kein deutsches „ch“ aussprechen und so wird aus dem harmlosen Satz ein „I scheiße“. Alison gluckst los, weigert sich aber, den Grund für ihre plötzliche Fröhlichkeit zu nennen. Ein dröhnendes Gelächter folgt auf meine Erklärung.
Die allgemeine Heiterkeit weicht einem gewissen Ernst, als Philippe, der hier den Wortführer gibt und wegen seiner zwei Jahre beim Militär in Trier als Deutschlandkenner gilt, was ich denn von der Flüchtlingspolitik von La Merkel halte. Meine Antwort, im Prinzip bewunderte ich sie für ihren moralischen Mut, sei aber enttäuscht über die Entwicklung der letzten Wochen, vor allem über den Deal mit der Türkei in der Frage der Rückführung der Flüchtlinge, trifft auf unterschiedliche Reaktionen.
Ganz recht, meint Philippe, mit einem Diktator wie dem türkischen Präsidenten dürfe man sich erst gar nicht einlassen, andererseits könne man nicht alle aufnehmen, die ihr Land, aus welchen auch immer verlassen. Die Standardantwort aller, die sich nicht entscheiden wollen oder können.
Valéry, ein krausköpfiger junger Mann im Blaumann, der bisher geschwiegen hat, fährt hoch. Und was folge daraus, will er wissen. Solle man etwa die Menschen im Mittelmeer ersaufen lassen? Das sei die Politik einer Marine Le Pen und ihres Front National. Mit der könne sich gemein machen wer wolle, er sei dafür nicht zu haben.
Dem können alle zustimmen und Kathí, Philippes Frau, beendet die Diskusion mit der kategorischen Feststellung, La Merkel, das sei eine tatkräftige Frau ganz anders als ihr Präsident, der nicht den Mut habe, in der Flüchtlingskrise an ihrer Seite zu stehen. Le petit gros, den kleinen Dicken nennt sie ihn. Aus ihren Worten spricht Verachtung. Eine Schande für Frankreich sei Hollande, für das Frankreich der Verkündung der Menschenrechte. Die anderen schweigen zu ihren Worten. Aus ihren Mienen lese ich Zustimmung bei den einen, Ablehnung bei den anderen. Valéry sagt abschließend: „Vraiment“, so ist es.
Ich trinke mein Bier aus, verabschiede mich und gehe zurück zu meinem Bus.
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