Friedrich Schillers „Die Räuber“ als Rockoper unter freiem Kieler Himmel

Von Christoph Munk

Kiel. Hätte noch gefehlt, dass der gute, blutrote Vollmond über der Kulisse am Seefischmarkt hochsteigt. War aber nicht so. War nur ein Feuerwerk, übersichtlich und von Menschen gemacht. Vermutlich mit Sponsorenhilfe eingerichtet, leuchtete es über der Premiere des diesjährigen Sommerevents, den das Kieler Theater und sein Generalintendant Daniel Karasek seinem Publikum zum Saisonausklang offerierte: „Die Räuber“, eine Rockoper nach Friedrich Schillers Schauspiel. Da durfte alles beklatscht werden, sogar das Wetter: trocken unter dunklen Himmeln. Da trübte nichts das Sommertheater-Open-Air-Glück

Schicke Architektur und unten im knappen Carport schimmert ein Benz. (Foto Struck)

Schicke Architektur bis in den Himmel, und unten im recht knappen Carport schimmert ein Benz. (Fotos: Struck)

Zwei Brüder im Zwist, zwei Welten: Links hatte Bühnenbildner Lars Peter für den Grafen von Moor ein mehrstöckiges Haus mit mehreren Etagen und Treppen errichten lassen: Architektenschick aus weißem Holz und Aluleisten. Rechts lagerten die Räuber vor und auf einem Stahlcontainer, gefällter Baum obendrauf, Altreifen, verbeulte Ölfässer, Feuerschale – wie sich Straßengangs ihr Vorstadtbiotop eben so einrichten. Kontraste waren also in unmittelbare Nachbarschaft gesetzt – sehr praktisch für die schnellen Szenenwechsel, die Schillers Text nun mal vorgibt, aber auch in ihrer Wirkung ein bisschen steril und sparsam. Satt von Bildern konnte man schließlich am großen, hochragenden Screen werden, auf dem Videos von Kay Otto und Aron Krause alles zeigen, was man sich bei Songs und Spiel so denken kann.

Das ganze wilde Schauspiel aber war ins Demonstrative gezähmt. Regisseur Daniel Karasek und Dramaturg Jens Paulsen hatten das Gestrüpp der Texte auf Kante geschnitten. Die Sprache, wo sie ins Kraut schießt, wurde zum heutigen Gebrauch gestutzt. Die Handlung, so sprunghaft sie daherkommt, lief in geraden Bahnen an den vorgesehenen Stationen entlang. Die Geschichte, mündete, wo sie ausufert, in ein kanalisiertes System. Leicht und logisch folgt die Aufführung einer sauberen Ordnung, die keinen Leerlauf, aber auch keine Aufregung kennt.

Unter den Händen von Daniel Karasek wirkt Schillers jugendliche Revolte absichtsvoll ins Milde gereift. Möglicherweise bringt der Regisseur darum die beiden gegensätzlichen Brüder nicht als drängende Helden, sondern in der Gestalt schwerer Männerspieler auf die Bühne.

Disput im feinen Ambiente: Amalia (Magdalena Neuhaus) und Franz (Marko Gebbert)

Disput im feinen Ambiente: Amalia (Magdalena Neuhaus) und Franz (Marko Gebbert)

Der eine – Marko Gebberts Franz – hat, wenn überhaupt, sehr spät seine intellektuellen Fähigkeiten entdeckt. Seine vom Nihilismus genährte Moralverachtung beschleicht unversehens einen Charakter, der eigentlich in langer Geduld gestählt sein müsste, der offenbar jahrelang die empfundenen Benachteiligungen gehorsam ertrug und der eher den Eindruck erweckt, als habe er sich feist in den Verhältnissen eingenistet.

Der andere – Oliver E. Schönfelds Karl – scheint als notorischer Langzeitstudent in Leipzig das Leben genossen zu haben, bis ihn Vaters vom Bruder gefälschter Verbannungsbrief in eine Art spätpubertäre Krise stürzt. Doch zu mehr als zum gemäßigten Ausstieg aus der Gesellschaft reicht es bei diesem Herrn nicht. Dass Schönfelds Karl außer sich geriete – unvorstellbar.

In dieser Besetzung leidet Franz an den – zumindest eingebildeten – Zurücksetzungen in der Familie. Und seinen brüderlicher Widerpart Karl bedrückt – in der Dimension kaum wahrnehmbar – die Ungerechtigkeit der Welt. Beide, sowohl Gebbert als auch Schönfeld, sind eher kräftige Männer- denn feine Charakterspieler. Gemeinsam zeigen sie darum, wie der vom Schicksal diktierte Zweifel am Sinn ihres Lebens sie erfasst. Denn sie bewegen sich nahe dem gesetzten Alter, in dem gemeinhin so etwas wie Midlifecrisis droht.

Spielfreie, Kampfeslust: Räuberszene mit Rudi Hindenburg und Christian Kämpfer.

Spielfreude, Kampfeslust: Räuberszene mit Rudi Hindenburg und Christian Kämpfer.

Entsprechend einfach gestaltet, aber scharf gestochen die Figuren um die Protagonisten herum: Magdalena Neuhaus – immer hübsch gekleidet (Kostüme: Claudia Spielmann) – gelingt eine lieblich-mädchenhafte Amalia, Zacharias Preen ein kantig geschnitzter Vater. Imanuel Humm setzt die beiden Geistlichen markant in Szene, ebenso Werner Klockow den Diener Daniel und Johannes Merz den Bastard Herrmann. Und Karls Räuberbande ist mit engagiert auftrumpfenden, gekonnt hemdsärmeligen Typen bestückt: Rudi Hindenburg, Christian Kämpfer, Jessica Ohl, Jennifer Böhm, Johannes Merz und Martin Borkert pumpen Energien in ihre Aktionen, ganz nach dem Motto „Da hau ich mich mal voll rein!“

„Die Räuber. Eine Rockoper“. Da gehören Songs dazu. Was Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff von „Kettcar“ in 16 Songs beitragen, erfüllt die Erwartungen an klare, gerade Rockmusik, an treibenden Gitarrenpop, souverän gemeistert in der Live-Umsetzung unter der Leitung von Ture Rückwardt und Axel Riemann. Atmosphärisch klingt das gut abgestimmt mit den Situationen auf der Bühne und überfordert die Gesangskünste der Schauspieler selten. Mal tragen die Titel textbetont die Handlung voran, mal untermalen sie die gefühligen Befindlichkeiten der Figuren. Und gelegentlich scheint in ihnen Schillers idealistische Grundstimmung auf. Das trommelt sich im fatalen Finale in Herz und Hirn.

Aber: Alles ist schön, alles wird gut. Kieler Sommertheater eben. So soll es sein.

Info und Termine: www.theater-kiel.de