Beim Finale der U20-Landesmeisterschaft im Poetry Slam traf Witz auf nachdenklichen Ernst

Von Jörg Meyer

Kiel. Auf einen witzigen Text, früher beim Poetry Slam die Regel, musste man beim Finale der U20-Landesmeisterschaften in der Pumpe lange warten. Erst in der letzten Runde mit den besten vier PoetInnen der acht, die sich in den Halbfinalen in Neumünster und Lübeck für das Kieler Finale qualifiziert hatten, ließ Dennis Biba den Zeichentrick-Helden Wickie zum Wikinger-Gangsta-Rapper mutieren und erzeugte mit gewitzten Reimen aus seiner „Wickie-Pedia“ ein um die andere Lachsalve.

Der ehemalige U20 und jüngst zum Landesmeister der Ü20-Poetry-Slammer gekürte David Friedrich lobte das „Brennen“ der Youngsters für den Weltschmerz. (Foto: Uwe Lehmann)

Der ehemalige U20 und jüngst zum Landesmeister der Ü20-Poetry-Slammer gekürte David Friedrich lobte das „Brennen“ der Youngsters für den Weltschmerz. (Foto: Uwe Lehmann)

Ein humoristischer Befreiungsschlag, denn „passend zu unserer Generation Depri“, so ein 16-jähriger Zuhörer, streichelten die übrigen U20 eher ihren Schmerz an der – politisch und privat – aus den Fugen geratenen Welt. Dabei hatte doch Special Guest und frisch gebackener Landesmeister David Friedrich anfangs die Youngsters gelobt, sie seien „viel cooler als wir Über-20-Jährigen – sie brennen noch!“ Bei Bjarne Stahmer ist schon die „retro“ China-Kladde, aus der er liest, bewusst nicht cool. Denn Cool-Sein sei inzwischen so „mainstreamig“ wie „die spießigen Reihenhäuser mit ihren Smoothies auf dem Tisch“. Wie könne man da noch „anders sein, gehört werden, ohne zu schrei’n“? Im Duell mit ihm setzt sich indes Lena Iwersen durch, die in „Der Zoo“ für „die bedrohten Arten von heute“, namentlich Tugenden wie Ehrlichkeit, Respekt und Pünktlichkeit (sic!) fordert: „Füttern erlaubt!“

„Füttern erlaubt“ für neue Werte?

Schimmert da ein neuer Wertekonservativismus durch? Etwa wenn Hannah Wietzke beklagt: „Alles fühlt sich eckig an, also eck’ ich eben an.“ Wenn man denn noch anecken könnte, wo „Liebe wie Basketball ist: du kassierst Körbe, oder du machst das Ding rein“, so Jesko Vorbeck. Sollte man da nicht die Quadratur des Kreises versuchen, nämlich „aus eckigen Lego-Steinen was Rundes bauen“? Ein starker Satz, mit dem er im Viererfinale nur knapp der neuen U20-Landesmeisterin Lena Iwersen unterliegt. Ihr ebenso dicht auf den „V/Fersen“ ist Sven Mertens mit seinen grimmig glimmenden, zuweilen flammenden Reden gegen eine Gesellschaft, die sich in ihren „verdrehten Werten selbst betrügt“, zwar „ständig erreichbar“ ist, doch „nicht viel mehr erreicht“, als „das Ruhelos zu ziehen“.

Ähnlich gesellschaftskritisch ist Alina Jacobs’ „Lebe dein Leben – Gedanken“. Sie unterliegt mit diesem Text über Bulimie und Selbstverletzung zwar in der Vorrunde Sven, hinterlässt aber genauso Eindruck wie Sarah Wiesmann mit ihrer Beschreibung einer am Politischen zweifelhafter Rollenbilder scheiternden Liebe.

Nur wenig Raum für neue Welten und ihren Schmerz

Fazit: Für Witz sieht die Slam-Jugend nur wenig Raum in einer Welt, die ihr kaum eine Zukunft bietet, dafür vorgeahnten oder bereits erlittenen Schmerz. Solcher Weltschmerz, den selbst der witzige Wickie durchblicken lässt, macht den DichterInnen-Wettstreit freilich umso literarischer.