Vier junge norddeutsche Rockbands eröffneten den Bootshafensommer

Von Jörg Meyer

Kiel. Schwarze Gewitterwolken hängen über dem Bootshafen. Kein gutes Omen für den Auftakt des Bootshafensommers am Freitag, denn der Kieler Sommer zeigt sich mal wieder launisch. Doch es bleibt bei ein bisschen Wasser von oben und Gewitter höchstens von den Gitarren.

Wo die paar Schauer die Haut kühlen, greifen Elvis Dies Tomorrow umso hitziger in die Saiten. Kaum eine Spur vom „King“, was ja schon im Bandnamen und der Aufschrift „Fuck Elvis“ auf einem Gitarrenkoffer Programm ist. Der King ist tot, es leben seine (Ur-) Enkel! Die wollen „den wirklichen Gitarren-Sound zurückbringen“. Und dafür „schwitzen sie sich gern das T-Shirt vom Leib“, selbst wenn der Applaus „noch eher nach sechs Uhr abends“ klingt. Oder eben nach dem einsetzenden Regen, der manchen Zuhörer flüchten lässt. Mit „Just Another Day“, einer übersommernden Rock-Ballade, hält das Quartett mutig dagegen und lockt viele Schauerflüchtige zurück an den Ort des gitarresken Geschehens.

„Quer durch die Stadt in der Hoffnung, bloß nicht erkannt zu werden“, treibt es die Hamburg-Kieler Band Kazimir. Auch wenn sie die Nähe zum Diskurs-Rock der „Hamburger Schule“ explizit verneinen, erkennt man die lyrische Wut von Altvätern wie Blumfeld sofort. „Mit dem Gegenwind im Rücken“ bekommen die Emo-Punker in ihrem „Messlattenblues“ den „Platz, den sonst keiner will“, nämlich zwischen allen Stühlen – oder an der Raststätte „Brokenlande“ irgendwo im Niemandsland des Seins. Und das ist gut so, denn dort, „am selben Bahnsteig gegenüber, fährt ein and’rer Zug zurück“, natürlich ebenso ins Nirgendwo der Unbehaustheit. Aggressiv gewittern die Gitarren, um im nächsten Song umso klangfarbiger die Vorhänge trüber Gedankenwolken aufzuziehen. Stürmer und Dränger, die immer wieder im (Sprich-) Wortpiel innehalten, denn „die Geister, die uns riefen, waren ahnungslos“. Jeder zweite Vers ist eine philosophische Erkenntnis. Wer Spaß daran hat, vergisst darüber sogar wie ein Zuhörer die Pokémonster auf seinem Smartphone. „Not ’to go’, but to stay“, sagt er, angefixt von Kazimirs Wortspielen.

Neue Deutsche Welle revisited und rock-elektrisch transformiert: das Kieler Trio Sie Kamen Australien. (Foto: ögyr)

Neue Deutsche Welle revisited und rock-elektrisch transformiert: das Kieler Trio Sie Kamen Australien. (Foto: ögyr)

Wenn es nur nicht schon wieder von oben tröpfelte, als das Kieler Elektro-Punk-Trio und „Die Rückkehr der Neuen Deutschen Welle“ Sie Kamen Australien durch Songs von seiner neuen Scheibe „Peter ist der Wolf“ baldowert. Sänger Henner, Schießbuden- und Synthie-Organisator Simme und Stulle, der Mann am wohl besten E-Bass Norddeutschlands, überzeugen mit ihren NDW-elektrisch geschredderten Sounds und Songs, die schon von den Hooklines her teasen: „Die Basis unseres Systems trägt nicht mehr“, „Wenn ich du wär’, wär’ ich lieber ich“ … Dass es dabei regnet – geschenkt: „Selbst in Woodstock hat’s geregnet, und das Hurricane ist weggeschwommen.“

Auch den Gewinnern des Junge Bühne Kiel Votings, Pretty Sure, macht das wechselhafte Wetter nichts. Allein, das Kieler Quintett kommt zunächst nicht richtig in die Gänge. Davids Gesang wirkt brüchiger als sein profundes Alt-Saxofon-Spiel, Stefans Gitarren-Solos sind kaum mehr als gut gemeintes Gewitter. Aber die Jungs haben noch einen Walzer im Gepäck. Zu dem wird fröhlichst getanzt, sich rhythmisch regend auch „four to the floor“, mitten in die jetzt aufklarende Sommernacht über dem Bootshafen.