Peter Stamm stellte im Kieler Literaturhaus seinen Roman
„Weit über das Land“ vor

Von Hannes Hansen

Kiel. „Ungefähre Landschaft“ heißt der Roman, den Peter Stamm vor fünfzehn Jahren vorlegte. Gemeint sind Landschaften, die von einer vor sich selbst und ihren Nächsten flüchtenden Frau nur oberflächlich wahrgenommen werden. Wie sie sind auch die Protagonisten in „Weit über das Land“, dem neuen Roman des Schweizer Autors ungefähre Menschen – Helden mag man sie nicht nennen und Antihelden erst recht nicht –, ihrer selbst und ihrer Motive, ja ihres Lebens und ihres Selbst unsicher.

Peter Stamm (Foto: Gaby Gerster)

Peter Stamm (Foto: Gaby Gerster)

Am Dienstagabend stellte Peter Stamm den Roman im Kieler Literaturhaus vor. In nüchterner, von geradezu klassischer Klarheit geprägter, dabei sehr präziser Sprache und in wechselnder, kunstvoll verknüpfter Perspektive erzählt er von Thomas, einem Mann, der plötzlich und, wie es scheint, grundlos seine Familie verlässt und irgendwo in der Schweizer Bergwelt verschwindet, und von seiner Frau Astrid, die die Rumpffamilie mit den beiden Kindern Konrad und Ella zusammenhält. Ist es Langeweile, ist es Überdruss an der Ehe und seinem Angestelltenleben, der Wunsch, noch einmal etwas Neues zu erleben, was Thomas unvermittelt aufbrechen lässt? Und warum zeigt Astrid kein Anzeichen von Wut auf ihren Mann, nimmt ihm das Verschwinden nicht übel? Der Autor hilft bei der Enträtselung ebenso wenig weiter wie seine Personen, die keinerlei Auskunft über ihre jeweiligen Gründe für ihr Verhalten geben. Weil sie nicht können oder weil sie nicht wollen? Auch das bleibt in der Schwebe, und so bleiben beider Motive rätselhaft, und gerade das macht die Faszination der Geschichte aus.

Das mochten einige Zuhörerinnen im mehr als gut besuchten Literaturhaus nicht einfach so hinnehmen und fragten nach. Nicht alles sei erklärbar, sagte Peter Stamm lächelnd, und letztlich wisse er über die Motive seiner Personen auch nicht mehr als seine Leser, die er einlud, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Und damit mussten sich die Fragenden begnügen.

Anmerkung: Was wäre die Literatur ohne ihre Leserinnen? Im überaus gut besuchten Literaturhaus stellten die Frauen wohl an die neunzig Prozent der Zuhörer. Haben die Herren der Schöpfung keine Zeit oder kein Interesse?