Die Gruppe „Kunst & Streben“ und ihr Boot „Riva“ im Brunswiker Pavillon

Von Hannes Hansen

Original „Aquarama“ (Foto: RivaSuperAquarama)

Original „Aquarama“ (Foto: RivaSuperAquarama)

Kiel. Carlo Rivas Bootsentwurf „Aquarama“ war eine Stilikone der sechziger Jahre. Der Hafenflitzer aus edlem Mahagoni, mit weißen Ledersitzen, einer elegant geschwungenen Panoramascheibe und einem zu einer Liegewiese umbaubaren Achterdeck über den zwei Cadillac-Motoren, die dem Boot eine Höchstgeschwindigkeit von fünfzig Knoten verliehen, war genau das richtige Spielzeug für reiche große Jungs. Und so schipperte dann Gunter Sachs seine Brigitte Bardot auf einem „Aquarama“ durch die Häfen von Cannes, St. Tropez, Nizza und sonstwo, bis das Paar sich trennte und Brigitte sich ein eigenes Exemplar gönnte, und drehte Fiat-Chef Agnelli ebenso wie Ferruccio Lamborghini mit ihm schnelle Runden und feierte rauschende Feste an Bord. Alles immer schön in Hafen- und Ufernähe, man war prominent und wollte sehen, vor allem aber gesehen werden.

Nachbau „Riva“ (Foto: Andreas Reinhardt)

Nachbau „Riva“ (Foto: Andreas Reinhardt)

Der lange Vorspann zur Geschichte des Aquarama ist nötig, um zu verstehen, was die Kieler Künstlergruppe „Kunst & Streben“ – mit der ironisch hintersinnigen Video-Arbeit „Tal des Jammers“ die Preisträger der letztjährigen Landesschau des BBK – mit dieser Legende gemacht haben. Aus 1400 Plastikflaschen haben Ilse Dau, Uwe Gripp, Andreas Reinhardt, Nina Schlüter und Ruth Skibowski einen etwas verkleinerten Nachbau des Aquarama geschaffen, ihm frech den Namen „Riva“ verpasst und im Bunwiker Pavillon unter dem Ausstellungsnamen „Plastik“ raumgreifend platziert.

Da stellt sich natürlich sofort die Frage „Was soll das?“ Ist das nun Kunst, oder kann das weg? Handelt es sich bei dem „Nachbau“ um Denkmalsschändung, einen kalauernden Scherz oder um die Einsicht der alten Römer Sic transit gloria mundi, so vergehe nun einmal der Ruhm der Welt? Um die melancholisch heitere Exemplifizierung von Schillers Nänie „Auch das schöne muss sterben …“ oder einen wütenden, sarkastischen Kommentar zum Luxus der Reichen und Schönen in einer Welt des Hungers und der Not? Oder trauert man einer vermeintlich goldenen Vergangenheit nach, die abgelöst wurde von einer Gegenwart, die geprägt ist von Hässlichkeit und stetig zunehmender Plastifizierung aller Lebensbereiche? Signalisiert „Riva“ den endgültigen Siegeszug von „Ersatz“-Produkten (Plastik statt Jute, „Analog“-Käse, Fruchtaromen aus Erdöl, you name it, we have it), und ist das nun zu verabscheuen, hinzunehmen oder gar zu begrüßen? Und was hat es zu bedeuten, dass die Schönheit und Eleganz von Carlo Rivas Entwurf selbst in der Billigversion noch aufscheint wie eine verblassende Erinnerung an ein goldenes Zeitalter? Und braune Bierflaschen für das Überwasserschiff, türkisblaue Iso-Drink-Buddeln für den Wasserpass und farblose Mineralwasserflaschen für das Unterwasserschiff, das muss doch etwas bedeuten. Aber was?

„Riva“ gibt auf solche Fragen keine Antwort und bleibt stumm angesichts unserer Ratlosigkeit. Keine denkbare Ikonographie, keine philosophische Tiefenbohrung führt zu einer widerspruchsfreien Entschlüsselung. Dafür tut das Werk etwas, was zu den zentralen Zielen der Kunst, gerade auch der Konzeptkunst, zu der man die Arbeiten von „Kunst & Streben“ zählen muss, gehört: Es reißt Assoziationsräume auf, indem es statt auf lineares Denken auf eine polyvalente und vernetzte Gedankenstruktur setzt, die nach allen Seiten offen ist und Wege – auch Irrwege? – durch das Unterholz unserer Gefühle und Wahrnehmungen schlägt. Es macht ernst mit der Forderung, dass sich das Kunstwerk erst in der Mitarbeit des Betrachters realisiert, der so, wenn er denn will, zum Teil des Kunstwerks wird, zu einer Vorstufe der „sozialen Plastik“ eines Joseph Beuys. Kein geringer Anspruch. „Kunst & Streben“ erfüllt ihn.

Brunswiker Pavillon, bis 2. Oktober 2016, Di-Do 10-17 Uhr, Fr 10-16 Uhr, Sa+So 11-16 Uhr. Infos.