Erinnerungsstücke von einer spätsommerlichen Kulturreise nach Wien –
Teil 1
Von Christoph Munk
Wien. Wohin im September? Da verdämmern Sommertheater und Festivals und die gewohnte Kultursaison erwacht erst allmählich. Die Wiener Staatstheater erleichtern die Entscheidung: Dort beginnt die Spielzeit in den ersten Septembertagen. Und als sich zeigt, dass für eine Vorstellung von Wagners „Lohengrin“ mit Klaus Florian Vogt noch Karten zu kriegen sind, haben andere Reisepläne keinen Platz mehr in unseren Köpfen. Unser Schleswig-Holsteiner, unser Kunstpreisträger in seiner aktuellen Paraderolle. Und dann locken noch zwei Inszenierungen mit Joachim Meyerhoff, dem Schleswiger, den nicht nur die Schleswigerin an meiner Seite schätzt.
Wien also. Kulturreise, was sonst? Und gern ein bisschen abseits der bekannten Wege und Plätze. Nichts, was abgehakt werden muss, sondern was individuelle Erinnerungen hinterlässt: Kulturschnitzel, Wiener Melange, Kaiserschmarrn. Ein bisschen davon, finde ich, passt durchaus in einen Kulturblog für Kiel und mehr.

Eins von vielen im 7. Wieder Bezirk: das Renaissance Theater in der Neubaugasse. (Foto: Peter Gerull)
Ein Zimmer suchen wir wie immer im 7. Bezirk. Da beginnt Kultur direkt vor der Haustür. Nicht weil da besonders viele Kirchen oder Palais zu finden wären und das Museumsquartier direkt angrenzt,, sondern weil in den Gassen links von der gewöhnlich schicken und überfüllten Mariahilferstraße besonders schöpferisch und kultiviert gelebt wird: Da begegnen sich Gewusst-Wie und junge Erwartungen, Ideenreichtum und Risikofreude. Also sind Architekturbüros neben Designerläden angesiedelt, avantgardistische Galerien logieren neben „Schuhreparaturen aus Meisterhand“, Manufakturen vielerlei Arten fertigen Neues nach alten Methoden, Esoteriker entrücken im „OM Sweet OM“, ein Antiquitätenhändler interessiert sich für „Verlassenschaften“, die Papeterie „Herzilein“ genügt dem Kleinmädchengeschmack, „Spielwurm“ bietet pädagogisch wertvolles Holzspielzeug. – wurmfrei? Aber für wen ist das „Hühnerparadies“ eingerichtet? Für Hühner oder Hühnerverzehrer? Malateliers stecken in jedem dritten Hinterhof, Tanzstudios an allen Ecken. Gefühlt existieren dort mehr freie Theater als Bäckereien. Und in der stillen Bandgasse bietet „Andrasaits“ im 4. Stock (klingeln bei Andraschek) – ja was wohl?: Unterricht auf Streichinstrumenten.
Also hin zur Musik. Wagner gleich am ersten Abend. Nachmittags stand Klaus Florian Vogt noch auf den Aushängen, abends fehlte sein Name auf dem Besetzungszettel. Stefan Vinke gab für ihn sein Debüt in dieser Partie an der Staatsoper. Kleine Enttäuschung bei uns Kieler Fans. Ein akzeptabler Verlust, schließlich eher ein interessanter Vergleich, wie es sich ein paar Tage später erwies. Vinke hat sich schon im Fach der schweren Wagner-Helden etabliert – Siegfried etwa –, dem sich Voigt erst vorsichtig nähert.

Homokis „Lohengrin“: eine alpine Dorfgemeinschaft mit Heinrich dem Vogler (Günther Groisböck) als Oberhaupt. (Foto: Staatsoper Wien)
Vinkes Tenor ist von stabiler Strahlkraft, sein Piano eher durchdringend. Und Vinkes stämmige Burschenfigur und sein Kurzhaarkopf scheinen perfekt zur Gesellschaft zu gehören, in der Regisseur Andreas Homoki seinen „Lohengrin“ ansiedelt: In einer roh gezimmerten Bauerngaststube kommt eine alpenländische Dorfgemeinschaft zusammen. Heinrich der Vogler führt sie als Bürgermeister, Telramund und Ortrud begehren mit finsteren Mitteln die Macht, Elsa, die reiche Erbin, soll ihr Opfer werden. Aber Vinkes Lohengrin, ihr Erlöser, erscheint nicht als ein Fremder. Er steht in der Mitte dieser Gemeinschaft, wirkt wie einer von ihnen, ohne die Aura des Fremden, ohne Geheimnis.
Mich erstaunt, wie deutlich die Mechanismen im Ringen um Macht in Homokis alpinem Milieu jenen Konstruktionen ähneln, die Richard Wagner seiner romantischen Ritteroper unterlegt hat. Und mich, der sich durch Bilder und Handlungsmuster an die Ganghofer- und Anzengruber-Lektüre in jungen Jahren erinnert fühlt, erstaunt noch mehr, wie die Opernkritik in Wien und Zürich (wo die Produktion zunächst herauskam) mit Homokis Konzeption umging: wenig interessiert, gleichgültig.
Andreas Homokis Interpretation gewinnt allerdings an Deutlichkeit, wenn Klaus Florian Voigt die Titelpartie ausfüllt. Sein Erscheinungsbild und seine subtile Stimmkultur, die eher reine als stählerne Farbe seines Tenors lassen ihn eher als ein Wesen aus einer anderen Welt wirken. Sein Lohengrin ist ein Fremder, ein aus mythischer Höhe entsandter …

Doch noch Klaus Florian Voigt als Lohengrin: Video-Projektion auf dem Herbert-von-Karajan-Platz. (Foto: Munk)
Wie wir das erfahren? Ganz einfach: Zur zweiten Runde seiner Wiener „Lohengrin“-Serie konnte Voigt wieder selbst antreten. Zu sehen und zu hören in riesiger Video-Projektion an der Seite des Staatsopern-Gebäudes. Was in Kiel unter großer Selbstbelobigung einmal bei Gelegenheit der Sommeroper möglich scheint, ist in Wien gewöhnlicher Theateralltag. Da sitzen die Leute zu Dutzenden auf dem Herbert-von-Karajan-Platz und gucken Oper. Drumherum lärmen Straßen- und Fremdenverkehr. Das stört die Opernhörer, aber keiner kümmert sich drum. Daran zum Beispiel sind Unterschiede zu erkennen. Kiel ist eben nicht Wien. Denn Wien bleibt Wien – das erfülle „den Tatbestand einer gefährlichen Drohung“, urteilte einst Karl Kraus. Widerlegt ist er bisher nicht, weder so noch so.
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