Der Kunstflecken Poetry Slam eröffnete das Spokenwords.sh-Festival mit einem polyglotten Sprach-Mix

Von Jörg Meyer

Neumünster. Maria Viktoria kam als Kind aus Moskau nach Norddeutschland und weiß nicht so genau, welche eigentlich ihre „Muttersprache“ sei: Die „Princessa“, die ihr auf Russisch Märchen erzählte, Deutsch, die Landessprache der Integrierten, oder Englisch, die „Lingua franca“, die (fast) jeder versteht? Im gesprochenen und performten Wort, das im Mittelpunkt des Spokenwords.sh-Festivals steht, spielen Sprachgrenzen keine Rolle, gehen vielmehr über sich hinaus und befördern, so Kultur- und Europa-Ministerin Anke Spoorendonk in ihrem Grußwort, „die Völkerverständigung“.

Derart fortschrittliche Politik und Poesie sind sich einig, dass eben das Switchen zwischen den Sprachen Kreativität freisetzt. Zum „Warmup“ – oder wie das im Poetry Slam heißt, als „Opferlamm“ – überqueren die außer Konkurrenz antretenden französischen Gäste Monsieur Mouch und PoiSon D’Avril hurtig den Rhein von West nach Ost und zurück. Slam-Weltmeister Harry Baker aus London quirlt mit seinem „Falafellöffel“ in der alliterierenden Ursuppe des mehrsprachig klingenden Worts, und der aus Chicago kommende Slam-Poet Tim Stafford beschwört das „Homeworking“ am Wort. Apropos „Heimwerken“: Stefan Schwarck aus Kiel gibt sich als Architekt von vollverglasten Hundehütten und der sozialen Plastik von schnöden Bushaltestellen, in die zwar kein Mensch, aber wohl das Wort passt.

Und was zwitschert uns der Schlaf ein? Tobi Kunze (Hannover) filtert aus dem eine hypnotisch rappende und sich exaltierende Reimkaskade. Bas Böttcher, das Slam-Urgestein aus Bremen, jetzt Berlin, dessen Großmutter, wie er lokalkoloriert, in Neumünster „einst eine Kneipe betrieb“, entdeckt in der Sprache verborgene Wörter wie „BluMENSCHträuße“ und reimt flink und augenzwinkernd solch „nette Reden“ auf „MarioNETTenfäden“. Preisverdächtig! Allein, das Publikum in der ausverkauften Werkhalle verleiht dem Applausometer von Moderator Björn Högsdal noch größere Amplitude bei den drei Finalisten. Nach Applaus ununterscheidbar und daher beide auf dem zweiten Platz sind Yasmin Hafedh mit ihrer Ausführung zum „Piefkenesisch“, der Sprache von deutsch-tunesisch-stämmigen Wienerinnen, und Michel Kühn, SH-Meister 2015, mit seinem fulminanten Ritt durch den „Metakreis“, sprich die mehreren Ebenen eines Textes, die am Ende in sich zurückkurven, sich doppeln und verschlingen und keinen Ausweg aus dem Text bieten als den, immer weiter zu dichten.

Sieger nach Applaus bleibt der Kieler Helge Albrecht mit einem eher klassischen Slam-Erzähltext über ein Saufgelage in einer Kneipe an der jütländichen Westküste. Da wird dänisch gesprochen und getrunken, bis sich die Wörter so schön verwirren, dass das babylonische Switchen zwischen den Sprachen eine neue schafft – des einander Verstehens über alle (Sprach-) Grenzen hinweg.