Giacomo Meyerbeers monumentale Rarität „Die Hugenotten“ zum Saisonauftakt der Kieler Oper

Von Christoph Munk

Kiel. In Zeiten, da Gotteskrieger im Namen ihrer Religion nicht nur in ihrem angestammten Terrain gebieten sondern in der weiten Welt für Terror sorgen, liegt es nahe, Giacomo Meyerbeers Grand Opéra „Die Hugenotten“ aus heutiger Sicht zu deuten. Doch zu seiner Spielzeiteröffnung widersteht das Kieler Musiktheater über weite Strecken dieser Versuchung und bietet stattdessen, inszeniert von Lukas Hemleb, einen dekorativen Bilderbogen: grausamste Geschehnisse in gehörig historischen Abstand gerückt. Das Premierenpublikum schien’s zufrieden und dankte mit freundlichem Applaus.

Harmonisches Tableau im Garten der Marguerite de Valois (Daniel Bruera, Mitte). Foto Olaf Struck

Harmonisches Tableau im Kreise der Hofdamen im Garten der Marguerite de Valois (Daniela Bruera, Mitte) (Fotos: Olaf Struck)

Die Bartholomäusnacht gilt als einer der immer noch erschreckenden Momente in der Geschichte der europäischen Religionskriege. Im August 1572 richteten Glaubensfanatiker bei der Hochzeit der katholischen Margarete von Valois mit dem Hugenotten Heinrich von Navarra unter den Gefolgsleuten des Protestanten ein Blutbad sondergleichen an. Diesem Ereignis widmete der aus Deutschland stammende Komponist Giacomo Meyerbeer für die Pariser Theatergesellschaft 1835 seine Grand Opéra, „Die Hugenotten“: ein wuchtiges, monumentales Werk, das die Brutalität der Auseinandersetzung ungeschönt auf die Bühne bringt.

Vor dem Hintergrund der Schreckensnacht schildern der Komponist und sein Librettist Eugène Scribe eine romantische Liebesgeschichte, die, wie es sich in der Musiktragödie gehört, tödlich endet: Raoul de Nangis gehört den Hugenotten an, seine nach etlichen Wirrnissen bedingungslos angebetete Valentine ist die Tochter des katholischen Anführers. Die Romeo-und-Julia-Konstruktion ihrer Leidenschaft verschärft den dramatischen gesellschaftlich-politischen Konflikt und bereichert ihn um die menschlich anrührende Dimension.

Meyerbeer sicherte sich den sensationellen Erfolg seines Bühnenwerkes, der über das gesamte 19. Jahrhundert andauerte, mit allen Mitteln, die das Publikum einer Grand Opéra erwartete: große Aufmärsche im Kontrast zu intimen Szenen, rohe Soldatenformationen neben unbeschwertem Volksgetümmel, gefühlvolle Duette neben konspirativen Versammlungen, Treueschwüre gegen blanken Verrat und infame Verschwörung – großes Ballett, imposante Tableaus in Serie.

Auch musikalisch hantiert der Komponist mit dem bunt gemischten Fächer seiner stilistischen Virtuosität. Schon in die Ouvertüre montiert er einen später leitmotivisch eingesetzten Luther-Chor und setzt ein reißerisches Kriegslied dagegen, kombiniert lyrische Belcanto-Arien mit Koloratur-Kunststücken, lässt Soldaten marschieren und Andachten prozessieren, verdichtet den Orchesterpart zu Kampfgetümmel und reduziert ihn wieder auf eine sensible Begleitung der Sänger. Meyerbeers Harmonie enthielte deutsche Elemente, diagnostiziert die Fachwelt, seine Rhythmik folge französischen Einflüssen, seine Melodik italienischen Mustern. Die Urteile über Meyerbeers „Hugenotten“ schwankten stets zwischen Berlioz’ Bewunderung – „eine wahre musikalische Enzyklopädie“ – und Richard Wagners späterem Verdikt: „Wirkung ohne Ursache“.

Zum Kampf entschlossen: die Hugenotten um Raoul de Nahgis (Anton Rositsky, links) und Marcel (Timo Riihonen, rechts). Foto Olaf Struck

Zum Kampf für den Glauben entschlossen: die Truppe der Hugenotten um Raoul de Nangis (Anton Rositsky, links) und Marcel (Timo Riihonen, rechts)

Der Effekte jedenfalls darf man sicher sein, denn das Opernmonster schillert in den schönsten und grässlichsten Farben. Darauf kommt es Daniel Carlberg an, wenn er das Philharmonische Orchester zu den subtilsten Klangvaleurs animiert, in den mächtigen Chören wuchtigen Schwung entwickelt, fein austarierte Instrumentalbegleitung fordert und doch nicht verbergen kann oder will, dass die Partitur in stilistische Splitter zerfällt und kaum aus einem Guss zu musizieren ist.

Auf dekorative Wirkung kommt es auch Regisseur Lukas Hemleb an, wenn er die Handlung vor allem von Tableau zu Tableau wandern lässt. Gianni Carlucci unterstützt ihn mit sparsam ausgestatteten Räumen, in deren Hintergrund eine schimmernd matte Spiegelfläche  so etwas wie riesige Gemälde illusioniert und für raffinierte Stimmungen sorgt. Die vordergründig ausdruckskräftigen Kostüme von Falk Bauer, eher historisierend als stilistische streng authentisch, komplettieren die nach optischer Gefälligkeit ausgerichteten Bildkompositionen.

Lukas Hemleb verbindet darin einen gestrafften, auf dreieinhalb Stunden reduzierten Handlungsstrang mit gekonnt geführten, von Lam Tran Dinh musikalisch perfekt vorbereiteten Auftritten der Chormassen und mit markant ausgeführten Charakteren. Dazu kann er sich auf ein gesanglich gut disponiertes Solistenensemble verlassen – auch in den mittleren Partien. Agnieszka Hausers Valentine und Anton Rositskys Raoul bilden ein „italienisches“, lyrisch intensives und gleichzeitig strahlend und mühelos singendes tragisches Liebespaar. Daniela Bruera verleiht der Herrscherin Marguerite von Valois geläufige Koloraturen und geschmackvollste Töne. Jörg Sabrowski intoniert mit bitterem Bariton einen bösewichtigen Katholikenführer Saint-Bris, Tomohiro Takada – immer kultivierter im Timbre – gibt den nicht nur stimmlich noblen Gegenspieler. Während Timo Riihonen mit kräftig grundiertem Bass einen braven, gottesfürchtigen Diener Marcel beisteuert, liefert Karola Sophia Schmid einen mit stiller Komik anrührenden Pagen Urbain.

Die Ensembles, gesungen im originalen Französisch, geraten zeitweise unübersichtlich, so richteten es schon Komponist und Librettist an. Dafür entfalten die ausufernden Massenszenen starkes Kolorit, und am Ende geht es in Hemlebs Inszenierung doch um mehr als ein historisches Spektakel. Wenn zum Finale noch und noch die toten oder blutenden Opfer die Bühne füllen, erinnert das ebenso an den Blick in ein historisches Panoptikum wie an die täglichen Reportagebilder auf unseren Fernsehschirmen. Religionskriege fordern immer die gleichen Opfer. Leichte Beklemmungen darum im Auditorium vor lebhaftem Premierenapplaus.

Info und Termine: www.theater-kiel.de