Erinnerungsstücke von einer spätsommerlichen Kulturreise nach Wien –
Teil 3

Von Christoph Munk

„Wien bleibt Wien“ – dass der Titel eines Schrammel-Marsches auch als gefährliche Drohung, üble Nachrede oder als vernichtendes Urteil verstanden werden darf, darin waren sich die kritischen Lästermäuler der Stadt – ob Alfred Polgar, Hans Weigel oder Karl Kraus – leicht einig. Ich habe mein Vergnügen dran, weil darin die ewige Hassliebe der Wiener zu allem Wienerischen blüht. Am schönsten gepflegt von den Kaffeehaus-Kellnern im 1. Bezirk, wenn sie den Braunen, Schwarzen oder die Melange mit gekonnt nachlässiger Arroganz servieren. Eigentlich wollte ich sie diesmal ganz meiden.

Nölige Kellner, viele Zeitungen und am Wochenende Wiener Melodien: Das „Bräunerhof" (Foto Munk)

Kaum Touristen, nölige Kellner, viele Zeitungen und am Wochenende Wiener Melodien: Das „Bräunerhof“ (Foto: Munk)

Aber manchmal muss es eben doch die Innere Stadt sein. Zum Beispiel suche ich gern im Musikhaus Doblinger nach Noten oder CDs. Halbe Fehlanzeige. Man führt dort, wo man für eine Rarität wie „Die Hugenotten“ leicht drei, vier Einspielungen finden konnte, keine Tonträger mehr: „Lohnt sich nimmer“, sagt der Verkäufer und schickt mich zu „Gramola“ im Graben. Auf dem Weg mache ich einen Bogen um das allzu berühmte „Hawelka“, wo sich nur noch Touristen drängeln, die Ausschau nach Leuten halten, die wenigstens aussehen wie Schriftsteller. Lieber um die Ecke zum Bräunerhof, wo’s schön ruhig zugeht, wo samstags, sonntags oder an Feiertagen „von 15.15 bis 18 Uhr unser Trio für Sie Wiener Melodien spielt – kein Musikbeitrag!“. Und wo in der Speisekarte Thomas Bernhard in seinem gepflegten Hass gegen das Kaffeehaus zitiert wird: „Andererseits fühlte ich mich jahrzehntelang im Bräunerhof, das immer gegen mich gewesen ist (wie das Hawelka), wie zuhause.“

Drüben in der Dorothergasse wird in einer reichhaltigen und faszinierenden Ausstellung dokumentiert, was wir alle wissen müssten, aber schnell ignorieren, weil es so offensichtlich ist: der Einfluss der jüdischen Kultur auf die populäre Musik des 20. Jahrhunderts. Das Jüdische Museum liefert da mit der Präsentation „Stars of David“ eine überzeugende und lebendige Geschichtsstunde. Es ist eine betörende Multimedia-Show, denn mit Plakaten, Fotos, Programmen, dokumentarischen Statements, mit Objekten – etwa das Original von Erich Wolfgang Korngolds Oscar – mit Schriftstücken, Filmen in Szenenausschnitten und Tondokumenten wird deutlich, wie nachhaltig Auswanderung und politische Vertreibung zu einer kulturellen Wanderung geführt haben.

Stars of David: Leonard Cohen, Barbra Streisand, Amy Winehouse. (Foto Wiener Museen)

„Stars of David“: Leonard Cohen, Barbra Streisand, Amy Winehouse. (Foto: Wiener Museen)

Jüdische Künstler, aus dem Nazi-Deutschland geflohen, trafen in den USA auf jüdische-stämmige Musiker wie die Komponisten Irving Berlin, Jerome Kern oder George Gershwin und damit auf fruchtbaren Boden. Wozu das geführt hat ist mit der Nennung von ein paar bekannten Namen nur unzulänglich beschrieben: Barbra Streisand, Billy Joel, Bob Dylan, aber auch Leonard Cohen, Lou Reed, Amy Winehouse, Pink oder Reggae-Rapper Matisyahu sind Musiker, die sich auf ihre jüdischen Wurzeln berufen. Und hinter ihnen: ein ganzes Heer von Komponisten, Impressarios, und Produzenten. Das Thema ist zu komplex, um in den Erinnerungen an eine Kulturreise ausreichend behandelt zu werden. Doch ein imposanter Katalog, erschienen im Berliner Verlag Hentrich&Hentrich, macht es nachhaltig greifbar.

Knappe, thematisch pointierte Ausstellungen sind hingegen geradezu ein Markenzeichen des Wien Museums am Karlsplatz. Derzeit blickt „Chapeau! – Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes“ nicht nur in ein Kapitel modischer Entwicklung. Hier zeigt sich auch, wie Kopfschmuck im Lauf der Jahrzehnte nicht nur gesellschaftliche, sondern auch politische Unterschiede markierte. Leuchtende Pointe in den übersichtlichen Räumen: die rote Baskenmütze, Erkennungszeichen der diesjährigen Bachmann-Preisträgerin Stefanie Sargnagel.

Manchmal misslingt selbst eine Trennung: Szene aus „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas". (Foto Burgtheater/Georg Soulek)

Manchmal misslingt selbst eine Trennung: Szene aus „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ (Foto: Burgtheater/Georg Soulek)

Am Abend am liebsten ins Theater: Zwei Aufführungen zum Abschluss: Petitessen im Akademietheater, gewissermaßen den Kammerspielen der „Burg“. Zunächst ein reizvoller Trip ins Beziehungschaos mit einem irreführenden Titel: „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ von Joël Pommerat, ein wunderbares Gestrüpp von Kurzszenen, in dem fünf Schauspielerinnen und vier Schauspieler an 19 Fällen vorführen, was alles nicht passt, wenn’s ums Zusammensein geht. Da begehrt zum Beispiel eine Frau ihre Scheidung, weil zwar alles in Ordnung, aber keine Liebe da ist. Andererseits verlässt eine junge Frau nachts ihren Mann, weil sie findet, dass Liebe allein nicht genug ist. Oder ein Ehepaar kommt heim zu seiner Babysitterin und verlangt die Herausgabe seiner Kinder, obwohl es die nie gegeben hat. Oder eine Hochzeit bei der sich herausstellt, dass der Bräutigam mit allen Schwestern der Braut mal eine Affäre hatte. Es geht lustig und traurig zu in diesen Miniaturen, manchmal absurd und manchmal so streng logisch, dass es schon weh tut. Im Mai letzten Jahres brachte das Schauspiel Frankfurt die Kunststückchen erstmals auf Deutsch heraus und gastiert damit am 15. und 16. Oktober beim Hamburger Theaterfestival. Wer’s in Wien gesehen hat, wünscht es sich bald auf vielen deutschen Bühnen.

Stars der Nebensächlichkeiten: Caroline Peters und Joachim Meyerhof in „Bella Figura" (Foto Burgtheater Reinhard Werner)

Stars vor Audi-Cabrio: Caroline Peters und Joachim Meyerhoff in Yasmina Rezas „Bella Figura“ (Foto: Burgtheater/Reinhard Werner)

Nachschlag im Akademietheater, mehr aber auch nicht: Yasmina Rezas „Bella Figura“ in Starbesetzung: Wiederum Joachim Meyerhoff, Caroline Peters, Sylvie Rohrer, Roland Koch und die hochgeachtete Kirsten Dene. Alles vom Feinsten, auch die Leute. Meyerhoff spielt, auch das mit Eleganz, einen Aufschneider: gelbes Cabrio (mit freundlicher Unterstützung von Audi Österreich). Peters gibt höchst sexy seine Gespielin, die ihn in eine peinliche Situation verwickelt: vor einem exklusiven Restaurant am Meer erscheint ausgerechnet die beste Freundin der Ehefrau. Man ahnt es: Besonders gut gehen kann das nicht, aber es geht auch nicht richtig schief. Wie so oft in Reza-Stücken hängt alles an einem dünnen, konstruierten Fädchengebilde. Man redet viel, blamiert sich, kommt nicht zum Essen, auch sonst nicht voran und schon gar nicht über Nebensächliches hinaus. Hat man das nicht alles schon mal gesehen? Oder so ähnlich? Reza bleibt eben Reza. Und Wien bleibt Wien.

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