Thea Dorn mit ihrem Roman „Die Unglückseligen“ im
Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis
Von Jörg Meyer
Kiel. Das kommt dabei heraus, wenn man eine von Goethes „Faust“ und dessen wortmächtiger Interpretation durch Gustaf Gründgens „schon früh infizierte“ Teenagerin im Schultheater nicht den Mephisto, sondern „nur das Gretchen“ spielen lässt: Thea Dorn greift den Faust-Stoff auf und schreibt ihn zeitgemäß neu in ihrem Roman „Die Unglückseligen“, den sie auf Einladung des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises im Propsteisaal vorstellte.
Ihr Faust ist eine Frau, die Molekularbiologin Johanna Mawet, die (weil man in Deutschland nicht mit embryonalen Stammzellen experimentieren darf) in den USA der Unsterblichkeit nachforscht. Ihr Faust ist aber auch eine Art Wiedergänger: der 1776 geborene und mit dem Phänomen der Elektrizität, die man seinerzeit als „Lebenselexier“ begriff, befasste Physiker Johann Wilhelm Ritter, Intimus von Novalis, Goethe und Humboldt, der laut Wikipedia eigentlich 1810 früh verstarb, Johanna aber jetzt als unglücklich Unsterblicher wider Willen begegnet. Was ist da schief gelaufen in der Schöpfung – oder wie geplant, und von wem?
Obwohl „nicht gläubig“, daher annehmend, dass „nach dem Tode eher das Nichts ist“, so Dorn im nach der Lesung folgenden Gespräch mit Peter Unruh, Präsident des Landeskirchenamts der Nordkirche, wirft sie in ihrem Roman die „ewigen Fragen nach dem Sein“ auf, die schon die diversen Faust-Figuren und nicht zuletzt Philosophen von dem Alchemisten Agrippa von Nettesheim bis Kant umtrieben.
Mephisto ist in Dorns Reigen der unglückseligen Unsterblichkeitsherausforderer „der vor dem Schaf aus Nazareth erstgeborene Sohn Gottes“, der Gottes unvollkommener, weil mit Sterblichkeit versehener Schöpfung entgegentritt mit dem brennenden Wunsch, sie zu korrigieren, wie einst Voltaire, als er sich als Aufklärer gegen das Erdbeben von Lissabon (und Gott) empörte.
Dem Monolog Mephistos, den sie als Teenager nicht spielen durfte, legt Thea Dorn gegen Ende ihres Romans „Gretchenfragen“ an Gott unter, die ebenso harsch wie in der antikisierenden, rhythmisch-rhetorisch ausgeformten Sprache ganz modern sind. Gott hat uns seine Sprache gegeben, und in der dürfen und müssen wir gegen ihn polemisieren. Vielleicht ist die so unsterblich wie die „Freiheit eines Christenmenschen“, die wir im nächsten Jahr mit Luther feiern. Und mit der schlauen Mephistophela Thea Dorn.
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