Zum Nobelpreis für Bob Dylan und zur Kritik daran

Von Hannes Hansen

Kiel. Das wurde aber auch Zeit, zu erwarten aber war es nicht, dass nämlich der Singer-Songwriter Bob Dylan den Literaturnobelpreis erhalten würde. Prompt regte sich dann auch Kritik. In Deutschland allen voran von Denis Scheck. Der seit Marcel Reich-Ranicki eitelste aller Kritiker spricht davon, die Schwedische Akademie habe sich wie schon des Öfteren mit ihrer Vergabepraxis ein „Späßken“ erlaubt.

Bob Dylan 2012 Foto Lewis Hyde

Bob Dylan 2012 (Foto: Lewis Hyde)

Irgendwie ist es komisch, dass ausgerechnet dieser beckmessernde Besserwisser, der die Rollen von Scharfrichter, Scherzkeks und Literaturkritiker auf Hartz IV-Niveau mühelos in sich vereint, sich ein solches Urteil erlaubt. Aber gut, er kann nicht anders, als den arbiter elegantiarum für ein Publikum zu spielen, das alles vom goldenen Mittelweg Abweichende abhorresziert, zu mehr reichen weder seine intellektuellen Fähigkeiten noch seine ästhetische Urteilskraft.

Denis Scheck Foto Martin Kraft creativecommons.org/licence CC By-Sa/3.0

Denis Scheck (Foto/CC: Martin Kraft)

Ein Barde als Dichter – darf das überhaupt sein?

Er sei ja nur ein Singer-Songwriter, ein Barde, ein gewiss großartiger Liedermacher, aber kein Lyriker sui generis, wird gemäkelt. Wie gut ist es da angesichts einer Jahrtausende alten Literaturtradition, dass ein Salman Rushdie, selbst ein würdiger Kandidat für den Nobelpreis und ein anderes Kaliber, der Schwedischen Akademie eine großartige Wahl attestiert, Bob Dylan als „genialen Erben der Bardentradition“ feiert und ganz zu Recht konstatiert, dass „von Orpheus bis Faiz … Lieder und Poesie stets eng miteinander verbunden“ waren.

Salman rushdie Foto David Shankbone

Salman Rushdie
(Foto: David Shankbone)

Und in dem Zusammenhang wollen wir doch gern daran erinnern, dass nicht nur Homers „Odyssee“ und die „Ilias“ von ihm oder anderen Sängern zur instrumentalen Begleitung vorgesungen wurden, sondern dass auch – um im hiesigen Dunstkreis zu bleiben – Walter von der Vogelweide, der bedeutendste deutsche Poet des Mittelalters, als fahrender Sänger von Burg zu Burg reiste, um seine Lieder/Gedichte vorzutragen. Gleiches gilt für seine Kollegen in ganz Europa, für die Kunst der Trouvères und Troubadours in Frankreich, die canciones und cantigas der Spanier und Portugiesen, die Gesänge der walisischen, irischen und schottischen Barden, der englischen Jugglers und Minstrels. Eine reiche Tradition, von der die Hochliteraturjunkies vom Schlage eines Denis Scheck und seine Nachbeter nichts wissen oder wissen wollen.

Heinrich Detering als Kronzeuge

Heinrich Detering Foto Kritzolina LIcenses CC BY-SA 3.0

Heinrich Detering (Foto/CC: Kritzolina)

Schließlich macht der in Kiel bestens bekannte Professor Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und selbst bekannter Lyriker, in seinem bei Reclam erschienenen Buch mit dem schlichten Titel „Bob Dylan“ darauf aufmerksam, dass sich die Songs des Robert Zimmerman, der sich nicht ohne Grund sein Pseudonym nach dem Namen des großen walisischen Poeten Dylan Thomas („Under Milkwood“, „And Death shall have no dominion“) wählte, aus vielen Quellen nähren. So träfen in seinen Texten Petrarca, Shakespeaeare und Rimbaud auf Tennessee Williams und Scott Fitzgerald, vor allem aber auf die große Tradition der amerikanischen demokratischen Gesangskultur eines Woody Guthrie, Pete Seeger und ihrer namenlosen Vorläufer. Freilich nicht als Pastiche, als beziehungsloses Nebeneinander. Diese Entlehnungen dienten einer „radikalen Enthistorisierung“, seien „Vergegenwärtigungskunst“, in der sich die unterschiedlichsten Einflüsse zu etwas Neuem verschmölzen, indem die einzelnen Bestandteile unauflösbar miteinander verbunden seien. Und: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gewebe aus Zitaten, Text- und Musikzitaten, so organisch und ganz und gar rund klingen können, wenn man nur additiv auf dem Papier zusammengeklebt und hinzugefügt hat. Das eigentlich Wunderbare ist ja nicht die Fülle der Stimmen, die in Dylans Stimme zu Gehör kommen, sondern das Wunderbare ist, dass es so klingt, als sei das alles ganz und gar von Dylan, aus einem Guss, sozusagen.“

Barack Obama verleiht Bob Dylan die "Medal of Freedom" Foto Bill Ingalls

Barack Obama verleiht Bob Dylan die „Medal of Freedom“ (Foto: Bill Ingalls)

Kunst der Anverwandlung

Eine Kunst der Anverwandlung sind die Songs Bob Dylans folglich, ein mehrstimmiges Amalgam, von dem er sagt: „The characters in my songs are all me.“ Dazu noch einmal Heinrich Detering: „Es sind Stücke, in denen mit sehr einfachen archaischen Darstellungsformen menschliche Grundsituationen dargestellt werden.“
Und so sind Songs wie „Like a rolling stone“, „Masters of War“, „The times they are a-changing“ oder die späten Stücke, die Bob Dylan selbst „Mysteries“, Mysterienspiele, nennt, keine literarischen Glasperlenspiele, kein geschichts- und zeitvergessenes l’art pour l’art, sondern hochkomplexe Kunstwerke in ihrem zeitlichen wie überzeitlichen Rahmen.

Fazit: Natürlich hätten, wie vielen Orts bemängelt, Autoren wie Don de Lillo, Thomas Pynchon oder Philip Roth den Nobelpreis längst verdient. Keine Frage, aber falsch ist der Preis für Bob Dylan deshalb nicht, und die Mäkelei erweist sich als geschichtsvergessene Ignoranz von Leuten, auf deren ästhetischem Radarschirm nur Offensichtliches erscheint oder erscheinen darf.