Zum Nobelpreis für Bob Dylan und zur Kritik daran
Von Hannes Hansen
Kiel. Das wurde aber auch Zeit, zu erwarten aber war es nicht, dass nämlich der Singer-Songwriter Bob Dylan den Literaturnobelpreis erhalten würde. Prompt regte sich dann auch Kritik. In Deutschland allen voran von Denis Scheck. Der seit Marcel Reich-Ranicki eitelste aller Kritiker spricht davon, die Schwedische Akademie habe sich wie schon des Öfteren mit ihrer Vergabepraxis ein „Späßken“ erlaubt.
Irgendwie ist es komisch, dass ausgerechnet dieser beckmessernde Besserwisser, der die Rollen von Scharfrichter, Scherzkeks und Literaturkritiker auf Hartz IV-Niveau mühelos in sich vereint, sich ein solches Urteil erlaubt. Aber gut, er kann nicht anders, als den arbiter elegantiarum für ein Publikum zu spielen, das alles vom goldenen Mittelweg Abweichende abhorresziert, zu mehr reichen weder seine intellektuellen Fähigkeiten noch seine ästhetische Urteilskraft.
Ein Barde als Dichter – darf das überhaupt sein?
Er sei ja nur ein Singer-Songwriter, ein Barde, ein gewiss großartiger Liedermacher, aber kein Lyriker sui generis, wird gemäkelt. Wie gut ist es da angesichts einer Jahrtausende alten Literaturtradition, dass ein Salman Rushdie, selbst ein würdiger Kandidat für den Nobelpreis und ein anderes Kaliber, der Schwedischen Akademie eine großartige Wahl attestiert, Bob Dylan als „genialen Erben der Bardentradition“ feiert und ganz zu Recht konstatiert, dass „von Orpheus bis Faiz … Lieder und Poesie stets eng miteinander verbunden“ waren.
Und in dem Zusammenhang wollen wir doch gern daran erinnern, dass nicht nur Homers „Odyssee“ und die „Ilias“ von ihm oder anderen Sängern zur instrumentalen Begleitung vorgesungen wurden, sondern dass auch – um im hiesigen Dunstkreis zu bleiben – Walter von der Vogelweide, der bedeutendste deutsche Poet des Mittelalters, als fahrender Sänger von Burg zu Burg reiste, um seine Lieder/Gedichte vorzutragen. Gleiches gilt für seine Kollegen in ganz Europa, für die Kunst der Trouvères und Troubadours in Frankreich, die canciones und cantigas der Spanier und Portugiesen, die Gesänge der walisischen, irischen und schottischen Barden, der englischen Jugglers und Minstrels. Eine reiche Tradition, von der die Hochliteraturjunkies vom Schlage eines Denis Scheck und seine Nachbeter nichts wissen oder wissen wollen.
Heinrich Detering als Kronzeuge
Schließlich macht der in Kiel bestens bekannte Professor Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und selbst bekannter Lyriker, in seinem bei Reclam erschienenen Buch mit dem schlichten Titel „Bob Dylan“ darauf aufmerksam, dass sich die Songs des Robert Zimmerman, der sich nicht ohne Grund sein Pseudonym nach dem Namen des großen walisischen Poeten Dylan Thomas („Under Milkwood“, „And Death shall have no dominion“) wählte, aus vielen Quellen nähren. So träfen in seinen Texten Petrarca, Shakespeaeare und Rimbaud auf Tennessee Williams und Scott Fitzgerald, vor allem aber auf die große Tradition der amerikanischen demokratischen Gesangskultur eines Woody Guthrie, Pete Seeger und ihrer namenlosen Vorläufer. Freilich nicht als Pastiche, als beziehungsloses Nebeneinander. Diese Entlehnungen dienten einer „radikalen Enthistorisierung“, seien „Vergegenwärtigungskunst“, in der sich die unterschiedlichsten Einflüsse zu etwas Neuem verschmölzen, indem die einzelnen Bestandteile unauflösbar miteinander verbunden seien. Und: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gewebe aus Zitaten, Text- und Musikzitaten, so organisch und ganz und gar rund klingen können, wenn man nur additiv auf dem Papier zusammengeklebt und hinzugefügt hat. Das eigentlich Wunderbare ist ja nicht die Fülle der Stimmen, die in Dylans Stimme zu Gehör kommen, sondern das Wunderbare ist, dass es so klingt, als sei das alles ganz und gar von Dylan, aus einem Guss, sozusagen.“
Kunst der Anverwandlung
Eine Kunst der Anverwandlung sind die Songs Bob Dylans folglich, ein mehrstimmiges Amalgam, von dem er sagt: „The characters in my songs are all me.“ Dazu noch einmal Heinrich Detering: „Es sind Stücke, in denen mit sehr einfachen archaischen Darstellungsformen menschliche Grundsituationen dargestellt werden.“
Und so sind Songs wie „Like a rolling stone“, „Masters of War“, „The times they are a-changing“ oder die späten Stücke, die Bob Dylan selbst „Mysteries“, Mysterienspiele, nennt, keine literarischen Glasperlenspiele, kein geschichts- und zeitvergessenes l’art pour l’art, sondern hochkomplexe Kunstwerke in ihrem zeitlichen wie überzeitlichen Rahmen.
Fazit: Natürlich hätten, wie vielen Orts bemängelt, Autoren wie Don de Lillo, Thomas Pynchon oder Philip Roth den Nobelpreis längst verdient. Keine Frage, aber falsch ist der Preis für Bob Dylan deshalb nicht, und die Mäkelei erweist sich als geschichtsvergessene Ignoranz von Leuten, auf deren ästhetischem Radarschirm nur Offensichtliches erscheint oder erscheinen darf.
16. Oktober 2016 um 12:46
Sehr schön geschrieben Hannes, bin völlig Deiner Meinung. Was Bob Dylan mit Weltliteratur zu tun hat? Was für eine Frage. Er hat tausend Songtexte geschrieben, Jahrzehntelang. Und uns alle auf der ganzen Welt glücklich gemacht damit. Ein Songtext ist nichts anderes als ein Gedicht. Und ist ein Gedicht etwa keine Literatur? Die bissigen Kommentare des aufgebrachten Bildungsbürgertums – und dazu zähle ich auch explizit diesen Denis Scheck – überhöre ich da ganz einfach mal. Bob Dylan hat den Preis verdient, gar keine Frage. Das ist auch schon seit mehr als zwanzig Jahren bekannt, da hat die Akademie jetzt richtig weise entschieden. Denn es war doch schließlich einst Epikur, der sagte, „…dass nur der Weise über die Musik und Dichtkunst richtig urteilen könne…“.
22. Oktober 2016 um 0:11
Ganz davon abgesehen, daß Bob Dylan sich entweder freut oder es ihm wurst ist oder beides gleichzeitig mit dem noblen Preis und ganz davon abgesehen, daß, als ich mich freute für Herrn Zimmermann und dann, als die Bemerkungen des Denis Schleck gerne von den Medien zitiert wurden, ich selbige las und gar nicht wußte, wer Herr Ed von Schleck überhaupt ist und jetzt sehe ich ein Photo seinerselbst da oben und eben kann er auch nichts dafür, daß er weniger Haare aber dafür mehr Backen als der Herr Detering hat, wobei Deterings Ergüsse zu Ende zu lesen auch nicht ohne Anstrengung ist, wie auch immer, die eigene Geschichte zu erzählen ist wichtiger als die Bewertung. Dies weiß der aktuelle Nobelpreisträger schon länger.