Drastische Interpretation von Tennessee Williams’ „Die Glasmenagerie“
im Kieler Schauspiel
Von Christoph Munk
Kiel. „Amanda (ungeduldig): Warum zitterst du denn so?“ – „Laura: Du hast mich nervös gemacht, Mutter!“ Das Premierenpublikum im Kieler Schauspielhaus lacht spontan und zeigt, wie direkt in dieser Aufführung die Stimmung auf der Bühne über die Rampe springt. Dabei nannte Tennessee Williams „Die Glasmenagerie“, sein erstes erfolgreiches Bühnenstück, „ein Spiel der Erinnerung“ und wünschte sich eine Gestaltung „unabhängig von allen Theaterkonventionen“. In der Inszenierung von Ulrike Maack geht wenig davon in Erfüllung: Sie erzählt ein Familiendrama: unmittelbar zupackend, drastisch ausformuliert, als wär’s eine Schmonzette fürs TV-Vorabendprogramm.

Der Schein trügt: dies wird kein glücklicher Abend: Szene aus „Die Glasmenagerie“ mit Marius Borghoff, Yvonne Ruprecht und Rudi Hindenburg (rechts). (Foto: Olaf Struck)
Der Vater meist oder ganz draußen in der Welt, die Tochter körperlich eingeschränkt und in sich zurückgezogen, die Mutter aufgezehrt von der Sorge ums alltägliche Dasein, der Sohn eingespannt in eine ungeliebte Arbeit, aus der er sich in die Ferne fantasiert – es ist hinlänglich bekannt, wie erkennbar Tennessee (eigentlich Thomas) Williams seine eigene Familie porträtierte. Und doch schrieb er aus der Distanz des Dichters keinen krassen Jugendreport, sondern – wie er es in seinen Anmerkungen formulierte – einen vielfach gebrochenen „Versuch, einen näheren Zugang zu den Dingen“ zu finden. Der legendäre Kritiker Friedrich Luft charakterisierte das Stück als ein „fragil träumerisches Gebilde der Erinnerung“, es rekonstruiere „bittersüße Erfahrungen der Jugend. Die Unerträglichkeit und wieder auch die schöne Unersetzbarkeit der eigenen Mutter.“
Erzähler Tom träge, Mutter Amanda distanzlos
Doch die Kieler Inszenierung verfehlt diese Absichten. Denn Erzähler Tom agiert schwach und Mutter Amanda fegt eindimensional und distanzlos durch den Text. Tom erzählt und tritt selbst als Figur auf. Marius Borghoff bringt für diese doppelte Rolle die Statur für einen lieben Kerl und braven Burschen mit, erweitert aber sein Repertoire nicht. Mit maulfauler Diktion und in lässiger Haltung versäumt er es, das Geschehen mit Hingabe in einen Rahmen zu spannen und so den leidenschaftlichen Anteil an der eigenen Geschichte erkennbar zu machen. Im Innenteil der Handlung demonstriert er eher passive Trägheit als den Trieb nach Veränderung.
Mutter Amanda aber nervt. Yvonne Ruprecht gibt ihr bedauerliche, aber gehörige Portionen an Vehemenz und Durchsetzungswillen und liefert einen imposanten Parforceritt unbeirrbarer – und eben leider unbedachter Dominanz. Man könnte sich ihre Amanda im besten Fall als ein von guten Geistern verlassenes Muttertier vorstellen, bekommt aber eine auf hohem, überdrehtem Ton von Aufgeregtheit lärmende Schreckschraube. Die Abwesenheit des Vaters, die Verstörtheit der Tochter, die Fluchtgedanken des Sohnes – ist Mutter an allem schuld? In der Absicht, diesen Gedanken zu vertreiben, fragt man sich, wie sich die Schauspielerin Yvonne Ruprecht und ihre Regisseurin Ulrike Maack bei der Rollenarbeit um die Gefühlswelt dieser Frau herumgemogelt haben. Quälen sie keine Wunden aus der Vergangenheit? Findet sie in der Gegenwart keine stillen Momente des Zweifels? Kennt sie für die Zukunft nur den närrischen Wunsch, ihre Tochter bieder an den Mann zu bringen? Bleibt von alldem nur der Ausdruck wütender Eitelkeit?
Doch, es gibt sie, die ruhigen, schönen Momente des Innehaltens und der Irritation. Die Räume von Wilfried Minks, mit spiegelnden, halbdurchsichtigen Flächen und Vorhängen vielfältig gestaffelt, die unaufdringlichen Videos von Konrad Kästner und Irmgard Kestings meist unaufdringliche Kostüme mildern die grellen Farben des dramatischen Familiengemäldes. Und wenn Magdalena Neuhaus ihre Laura wunderbar verhalten aus dem Dämmerzustand des Welkens aufblühen lässt und sich zwischen ihr und dem von Rudi Hindenburg handfest und stabil dargestellten Abendgast Jim so etwas wie eine innige Zuneigung anbahnt, entsteht die Illusion von Hoffnung und Wärme. Doch es kommt anders, wie man weiß. Ulrike Maacks Inszenierung lässt da keine Mehrdeutigkeit zu – und wird bei der Premiere heftig gefeiert.
Info und Karten: www.theater-kiel.de
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