William Shakespeares „Othello“ im Landestheater
Von Hannes Hansen
Rendsburg. Auf Lucia Beckers weitgehend kahler Bühne des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters, auf der allein ein weißer Kasten ein Interieur als einen bei Bedarf verschwiegenen Rückzugsort markiert, zucken alle Beteiligten zu peitschenden Rockrhythmen, als wären sie vom Veitstanz infizierte Hiphopper. Allen voran Neele Frederike Maak, die die Desdemona als besessenes Springteufelchen gibt, das über die Bühne hüpft wie ein Flummy. Das, sagte bei der Rendsburger Premiere des Stücks während der Pause ein Bekannter, müsse etwas bedeuten, man wüsste nur gerne, was.
So ging es mir auch, ich weiß nicht, was Thomas Oliver Niehaus’ Regieeinfall zu bedeuten hat, außer, dass man das halt so macht, mit Musik und Tanz und so. Eine neue Konvention, die die einst obligatorische Nackte auf der Bühne als Beweis für up to date Inszenierungskunst abgelöst hat.
Nicht der einzige Regieeinfall, der stutzig macht. Warum zum Teufel verschweigt die Inszenierung, dass Jagos (Stefan Hufschmidt) Zorn und Hass auf Othello daher rührt, dass der venezianische Feldherr ihn bei einer Beförderung zugunsten Cassios (Simon Keel), des Instruments seiner Rache, übergangen hat? So macht sie aus dem Vergeltungssüchtigen einen voraussetzungslosen Bösewicht, einen wie ein unbeteiligter Verwaltungsbeamter eiskalt die Fäden ziehenden und den gewaltbereiten Cassio und den in Desdemona verliebten tumben Toren Rodrigo (Christian Simon) manipulierenden Machinator, aus dem die in ihm brodelnde Gefühlslava nur selten einmal ausbricht. So gekonnt Stefan Hufschmidt diesen Jago anlegt, ist es wohl kaum im Sinne Shakespeares, der den Übeltaten seiner Schurken eigentlich immer ein Motiv zugrunde legt, sei es der Ehrgeiz des tragischen Helden Macbeth und seiner Frau, sei es der Spott der Umwelt, der den Krüppel Richard III. auf Rache sinnen lässt, oder eben Jagos Gefühl, benachteiligt worden zu sein.
Shakespeares klinisch reine Präparierkunst verleitet den Regisseur überdies dazu, sein Personal auf weite Strecken gestisch und stimmlich übertrieben outriert agieren zu lassen, bis Shakespeares Verse, die Werner Buhss’ Übersetzung mitunter reichlich ruppig und ganz und gar gegenwärtig („Halt die Schnauze“, sagt etwa Jago zu Ehefrau Emilia) konterkariert, klingen, als würden sie auf der Bühne des Grand Guignol, des kasperlehaften trivialen Schreckenstheaters gesprochen.
Die Parallelelen des Stücks über den Außenseiter, den in Buhss’ Übersetzung konsequent „Neger“ genannten Othello, zur heutigen Situation muslimischer Flüchtlinge sind mehr als deutlich, und dankenswerter Weise überstrapaziert sie die Regie nicht. Diesen Othello legt Deniz Ekinci zunächst als Prahlhans an, als Wilden aus dem Busch, auf den die venezianische Gesellschaft wegen seines militärischen Genies – und allein deswegen – nicht verzichten kann. Nur allmählich wird hinter seiner Großmäuligkeit die tief sitzende Unsicherheit dessen, der nicht dazu gehört, deutlich, die Verzweiflung des Mannes, der weiß, dass er alles verliert, wenn er die Liebe seiner Frau verliert. Von dieser Liebe kann ihn auch die ganz mädchenhaft naive Desdemona nicht überzeugen, und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf.
So arbeitet die Inszenierung aus der privaten Tragödie ganz unaufgeregt ein Stück Gesellschaftskritik heraus. Dass Deniz Ekinci und Neele Frederike Maak trotz dieses Bezugs in der Schlussszene das „Hast du zur Nacht, gebetet, Desdemona?“ anrührend und bei aller Verzweiflung geradezu still präsentieren, gehört wiederum zu den Stärken einer Inszenierung, die auf weite Stecken wie ein aus disparaten Elementen zusammengezwungenes Patchwork anmutet.
Infos und weitere Termine: www.sh-landestheater.de
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